Der letzte Wunsch
Zum 9. Geburtstag wünschte sich Rachel Beckwith Spenden für Trinkwasserbrunnen in Afrika. Dann starb sie bei einem Unfall. Seither wurden in ihrem Namen 1229307 Dollar gespendet.
Augsburg „In diesem Jahr will ich meinen Geburtstag einmal ganz anders feiern“, ließ Rachel Beckwith ihre Freunde im Juni wissen. Das klingt ein bisschen altklug für ein kleines Mädchen, das sich auf den 9. Geburtstag freut, aber Rachel Beckwith war, wie ihre Eltern berichten, immer schon ein bisschen anders als die meisten anderen Kinder.
Mit fünf Jahren ließ sie sich gegen den Willen ihrer Eltern die langen Haare komplett abschneiden, um sie für „Locks of Love“ zu spenden, eine Organisation, die Perücken für Kinder macht, die, etwa durch eine Chemotherapie, ihre Haare verloren haben. Rachel Beckwith war von kleinauf besessen von der Idee, anderen zu helfen. In diesem Jahr verzichtete sie auf Geburtstagsgeschenke und bat die Gäste in ihrer Geburtstagseinladung stattdessen: „Ich möchte, dass jeder neun Dollar für den Brunnenbau in Afrika spendet.“ 300 Dollar wollte Rachel auf diese Weise für „charity: water“ eintreiben, ein Projekt, das sie in ihrer evangelischen Kirchengemeinde in Isaquaah, einer Kleinstadt in der Nähe von Seattle, kennengelernt hatte. Und vermutlich, sagt ihre Mutter Samantha Paul, hat auch eine Rolle gespielt, dass der amerikanische Teeniestar Justin Bieber an seinem 17. Geburtstag für das Projekt Spenden gesammelt hatte.
Rachel verfehlte ihr Ziel. 220Dollar, immerhin, kamen an ihrem Geburtstag, dem 12. Juni, zusammen. „Nächstes Jahr schaffe ich mehr“, sagte Rachel zu ihrer Mutter, enttäuscht, aber trotzig.
Dann geschah etwas Schreckliches: Bei einer Massenkarambolage auf der Interstate 90 im US-Bundesstaat Washington wurde Rachel schwer verletzt – ihre Schwester und ihre Mutter saßen mit im Auto, blieben aber unversehrt. In den Tagen, in denen die Ärzte um Rachels Leben kämpften, versammelte sich die Familie am Krankenbett, Nachbarn und Schulfreunde trafen sich zu Gebeten, und alle spendeten in Rachels Namen für ihr Hilfsprojekt. Rund um Seattle verbreitete sich die Geschichte von Rachel Beckwith. Dass 42000 Dollar in ihrem Namen gespendet worden waren, flüsterten ihre Eltern ihr im Krankenhaus ins Ohr; gehört hat sie es wohl nicht mehr. Am 23. Juli starb sie.
Rachels Hilfsaktion war damit aber noch nicht zu Ende. Im Gegenteil, die Geschichte zog immer weitere Kreise, auf Rachels Spendenkonto ging immer mehr Geld ein, oft verbunden mit Nachrichten wie dieser: „Durch Rachel hat meine fünfjährige Tochter gelernt, was es heißt zu helfen. Anbei 19,70 Dollar. Es ist das Geld aus ihrem Sparschwein.“ Bislang haben 61465 Menschen in Rachels Namen gespendet. 1229307 Dollar sind zusammengekommen. Für 5000 Dollar kann laut „charity: water“ in Afrika ein Brunnen gebaut werden.
„Ich bin überwältigt von der Liebe, mit der Ihr den Traum meiner Tochter in die Tat umsetzt“, schrieb die Mutter an die Spender, „im Augenblick unbeschreiblicher Trauer habt Ihr ein Zeichen unbestreitbarer Hoffnung gesetzt. Ich bin mir sicher: Rachel lächelt uns zu.“
Fast alle Zeitungen in den USA haben in den letzten Wochen über Rachel berichtet. Die New York Times widmete ihr sogar einen Kommentar. Dort hieß es: „Mitten in diesem schlimmen Sommer hat Rachels Geschichte unseren Glauben an das Gute im Menschen wiederhergestellt. Meine Generation kann von ihr viel lernen über Reife und Selbstlosigkeit. Ruhe sanft, Rachel! Möge meine Generation etwas von Deiner lernen.“
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