Angela Merkel und die Abteilung Attacke
Eine Breitseite gegen die SPD und ein bisschen Pathos – die CDU ihre sonst so sachliche Vorsitzende Angela Merkel von einer neuen Seite. Schwäche zeigt sie nur am Abend zuvor.
Angela Merkel kann auch anders. So bequem es sich in der Großen Koalition mit ihren großen Mehrheiten regiert: Das rot-rot-grüne Experiment in Erfurt liegt seit dem vergangenen Freitag wie ein Schatten über ihr. Dass die stolze Volkspartei SPD als Juniorpartner einem Ministerpräsidenten der Linken an die Macht verhelfe, sei „eine Bankrotterklärung“, wettert die sonst so sachliche Kanzlerin, als führe sie schon den nächsten Bundestagswahlkampf. Beklemmend finde sie die Ereignisse in Thüringen, sagt sie – und stellt eine Frage in den Raum, die sie sich als CDU-Vorsitzende eigentlich nicht stellen muss: „Wie viel kleiner will die SPD sich eigentlich noch machen?“
Angela Merkel schaltet auf Angriff
Es ist eine Rede, wie Angela Merkel sie nicht alle Tage hält. Wenn sie einmal im Jahr vor die mehr als 1000 Delegierten des CDU-Parteitages tritt, bestraft sie die politische Konkurrenz in der Regel dadurch, dass sie sie gar nicht erst erwähnt. Diesmal allerdings schaltet sie nach einer halben Stunde plötzlich auf Angriff.
Nur eine starke Union, warnt sie, könne in drei Jahren ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund verhindern. Und überhaupt: So selbstverständlich, wie es gelegentlich scheint, ist eine Neuauflage der Großen Koalition für sie nicht. Im Gegenteil. Der natürliche Partner der Union, sagt die CDU-Chefin, bleibe weiter die FDP, die sie noch nicht abgeschrieben hat. Darüber hinaus hat der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, ein strammer Konservativer, in ihren Augen Maßstäbe gesetzt, als er sich gegen die SPD und für die Grünen entschied: „Danke, dass du das hingekriegt hast.“ Schon nach der letzten Bundestagswahl sei die Union bereit gewesen, das Experiment Schwarz-Grün zu wagen. „Nur manche Grüne waren es nicht.“
96,7 Prozent für Angela Merkel
Drei Stunden später ist Angela Merkel in Köln, der Stadt von Konrad Adenauer, endgültig in den Olymp der CDU aufgestiegen. Mit 96,7 Prozent bestätigt die Partei ihre Vorsitzende, das ist zwar etwas weniger als bei der letzten Wahl vor zwei Jahren, aber nach neun Jahren im Kanzleramt und 14 Jahren an der Parteispitze noch immer ein eindrucksvoller Vertrauensbeweis. Mehr denn je weiß die Partei, was sie an ihrer Vorsitzenden hat – und die wiederum weiß, was ihre Partei an Tagen wie diesen hören will.
Weniger als drei Millionen Arbeitslose, ein ausgeglichener Haushalt, sinkende Rentenbeiträge, so viele Erwerbstätige und so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie noch nie: „Wir haben viel erreicht“, sagt Angela Merkel. Selbst den Streit um die kalte Progression, in dem sich der Wirtschafts- und der Arbeitnehmerflügel in seltener Einigkeit gegen sie gestellt haben, hat sie rechtzeitig vor dem Parteitag noch beigelegt. Bei entsprechender Kassenlage soll die Progression nun doch noch vor der Wahl 2017 entschärft werden.
Spekulationen über einen Schwächeanfall von Angela Merkel
„Ihr wisst gar nicht, was ihr für eine große Chefin habt“, hat der Vorsitzende der Europäischen Konservativen, der Franzose Joseph Daul, schon zum Auftakt des Parteitages geschwärmt. Dass die am Abend zuvor einen Interviewtermin mit der ARD und dem ZDF kurz unterbrechen muss, weil sie sich nicht wohlfühlt: vorbei und vergessen. „Sie hat dann etwas gegessen und getrunken und die Interviews anschließend fortgesetzt“, wehrt Regierungssprecher Steffen Seibert alle Spekulationen über einen Schwächeanfall ab.
Angela Merkels Rede bestätigt diesen Eindruck: So temperamentvoll, so angriffslustig und emotional hat die CDU ihre Vorsitzende selten erlebt. Ausgerechnet sie, der sonst jedes Pathos fremd ist, zitiert diesmal den französischen Schriftsteller Victor Hugo: „Die Zukunft hat viele Namen. Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte. Für die Tapferen ist sie die Chance.“
Eigentlich soll dieses Bild für die neuen Herausforderungen stehen, die mit der Digitalisierung und der Demografie auf die deutsche Politik zukommen. Im Subtext dieser Rede aber schwingt eine Botschaft mit, die die CDU nur allzu gerne hört: Diese Frau hat sich gedanklich noch nicht aus dem Kanzleramt verabschiedet, sie plant längst über das Jahr 2017 hinaus, und nach der Thüringen-Wahl erst recht. „Lassen Sie uns die Mutigen sein“, sagt Angela Merkel. Am Ende applaudieren ihr die Delegierten zehn Minuten im Stehen – wohl wissend, dass die Partei im Moment niemanden hat, der es auch nur ansatzweise mit der Chefin aufnehmen kann.
Nur 70 Prozent für Ursula von der Leyen
Bei der Wahl der fünf Stellvertreter erhält nur die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Julia Klöckner mit 96,5 Prozent ein ähnlich gutes Ergebnis. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kommt auf magere 70,5 Prozent, der nordrhein-westfälische Oppositionsführer Armin Laschet auf 76,1 Prozent. Den baden-württembergischen Landesvorsitzenden Thomas Strobl, im Kampf um die Spitzenkandidatur für die nächste Landtagswahl überraschend gescheitert, belohnen die Delegierten für eine couragierte Bewerbungsrede mit 75,2 Prozent, das sind sieben Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Volker Bouffier, der Hesse, fährt mit 89,1 Prozent nicht ganz unerwartet das zweitbeste Ergebnis der fünf Stellvertreter ein. Nach Angela Merkels Rede ist ihm schnell klar, welche Tonlage er an diesem Nachmittag anschlagen muss. Sein Bundesland, sagt Bouffier grinsend, sei neben Bayern das einzige, in dem die SPD nicht regiere. „Wir haben Rot-Rot-Grün verhindert.“
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