Assads Krieg gegen sein Volk
Der syrische Machthaber Baschar al-Assads führt Krieg gegen sein Volk. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Syrien-Konflikt:
Der Aufstand in Syrien dauert jetzt ein Jahr lang an. Nach UN-Angaben sind 8000 Menschen ums Leben gekommen. Eine Lösung für den Konflikt ist trotz der Verhandlungsmission von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan nicht in Sicht.
Wie entstand die Protestbewegung in Syrien?
Wenige Wochen nach dem Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien kam es im Januar 2011 auch in der syrischen Provinz zu ersten kleinen Demonstrationen gegen die Übergriffe von Sicherheitskräften und gegen die schlechte wirtschaftliche Lage. Das Regime reagierte mit unverhältnismäßiger Härte und trug so dazu bei, dass die Demonstrationen immer machtvoller wurden. Am 15. März 2011 gab es erstmals gleichzeitig Demonstrationen in mehreren Städten, dieser Tag gilt als Beginn des Aufstands. Zehn Tage später protestierten in Daraa bereits 100000 Menschen. Die Sicherheitskräfte gingen brutal gegen die Menge vor, es gab mindestens 20 Tote. Danach sprang der Funke des Protests auch auf Homs, Hama, Latakia, Aleppo und Damaskus über.
Hat der Konflikt einen religiösen Hintergrund?
Ja. 70 Prozent der 22 Millionen Syrer sind sunnitische Muslime. In der Regierung und in der Spitze der Sicherheitskräfte sind diese jedoch extrem unterrepräsentiert. Der gegenwärtige Aufstand wird hauptsächlich von den Sunniten getragen. Bisher sind viele Schlüsselpositionen in Syrien von der Minderheit der Alawiten besetzt (12 Prozent der Bevölkerung), zu denen der Assad-Clan zählt. Ursprünglich ein armes Bergvolk, gehören viele Alawiten heute zur Oberschicht. Die „Anhänger Alis“ verstehen sich als eine schiitische Sekte, sie sind demnach Muslime. Wie die Schiiten verehren sie Ali, den Schwiegersohn des Propheten Mohammed und vierten Kalifen. Allerdings beten die Alawiten nicht in Moscheen und verlangen nicht, dass sich Frauen verschleiern. Strenggläubige Sunniten bestreiten daher, dass sie Muslime sind.
Warum setzt das Regime ausschließlich auf Gewalt?
Der Assad-Clan, der 1970 durch den Staatsstreich des damaligen Verteidigungsministers Hafis al-Assad an die Macht kam, herrscht in Syrien diktatorisch. Er stützt sich auf die Sicherheitskräfte sowie auf die sozialistische und laizistische Baath-Partei (bis vor kurzem war sie die Einheitspartei). Jede Opposition wurde gewaltsam unterdrückt. Auch einen Aufstand von Islamisten schlug das Regime mit äußerster Härte nieder. 1982 wurden dabei allein in der Stadt Hama mehr als 20000 Menschen getötet. Nach dem Wechsel an der Staatsspitze zum Assad-Sohn Baschar im Jahr 2000 gab es eine kurze Phase der Entspannung. Seitdem hat aber wieder der Sicherheitsapparat das Sagen. Besonders brutal gehen die vierte Division der syrischen Armee, die vom Präsidentenbruder Maher al-Assad kommandiert wird, sowie die Schlägertrupps Shabiha („Phantome“) gegen Demonstranten vor. Offenbar sind die Assads davon überzeugt, den Krieg gegen das eigene Volk militärisch gewinnen zu können.
Wie einig ist die Opposition, und verhält sie sich ausschließlich friedlich?
Das Manko der oppositionellen Kräfte in Syrien ist ihre Uneinigkeit. Vor allem die Exilopposition strebt eine demokratisch-pluralistische Gesellschaft an, viele sunnitische Demonstranten im Inland träumen jedoch von einem islamistischen Regime. Seit kurzem beansprucht der Syrische Nationalrat, für den Widerstand zu sprechen. Aber er ist nicht allseits akzeptiert. Die meisten Demonstranten sind friedlich. Allerdings gibt es auch bewaffnete islamistische Gruppen in ihren Reihen. An der Seite der Opposition kämpft die Freie Syrische Armee (FSA), die sich aus Deserteuren rekrutiert. Laut Befehlshaber Oberst Riyad al-Asaad umfasst sie 30000 Mann.
In welcher Situation befinden sich die syrischen Christen?
Ein häufig skandierter Slogan bei den Demonstrationen lautet: „Christen in den Libanon, Alawiten in den Sarg“. Die Christen, die zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, standen bisher auf der Seite des Assad-Regimes, das sie nicht diskriminierte. Sie fürchten nach einem Sieg der islamistischen Kräfte Racheakte – ebenso wie die Alawiten. Der Publizist Peter Scholl-Latour meinte kürzlich in einem Interview: „Es wundert mich schon, dass sich die Christen im Westen keinen Deut um das Schicksal ihrer Schwestern und Brüder scheren.“
Soll der Westen militärisch eingreifen?
Eine militärische Intervention wie in Libyen steht für die westlichen Regierungen nicht auf der Agenda. Sie wird auch nicht in den Entwürfen der UN-Resolutionen gefordert, die von Russland und China blockiert wurden. Die USA streben in Syrien einen Wandel nach dem Muster des Jemen an: Danach müsste Assad die Macht an einen Stellvertreter übergeben und das Land verlassen. Ob dies genügt, um eine nationale Versöhnung herbeizuführen, ist fraglich. Gegen eine militärische Invasion sprechen die Unübersichtlichkeit der Lage in Syrien und die Gefahr einer weiteren Eskalation. Sogar der moderat islamistische Ministerpräsident Tunesiens, Hamadi Jebali, warnt: „Derzeit wäre eine militärische Intervention von außen reiner Wahnsinn.“ Zunehmend diskutiert wird jedoch, wie humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien organisiert werden kann.
Welche Interessen verfolgen die arabischen Staaten?
Den sunnitischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien und Katar, ist daran gelegen, die schiitischen Kräfte zu schwächen. Zum schiitischen Lager zählen derzeit Iran, Irak, Syrien und Libanon. Außerdem wollen die Sunniten ihren Glaubensbrüdern beistehen. Ein demokratisch-pluralistisches System, wie es von den Demonstranten im Arabischen Frühling in Tunesien und Ägypten gefordert worden war, ist kein Anliegen Saudi-Arabiens und der Golfstaaten. Dort herrschen autoritäre Potentaten.
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