Athen stürzt ins Chaos – so oder so
Ob mit oder ohne Euro: In beiden Szenarien ist der griechische Staatsbankrott praktisch unausweichlich. Warum ein renommierter Ökonom den Ausstieg aber für unwahrscheinlich hält.
„Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat den Glauben an eine einvernehmliche Lösung mit Griechenland verloren. An einen Grexit, den Ausstieg des hoch verschuldeten Landes aus dem Euro, glaubt der renommierte Ökonom zwar nicht – das Szenario, das er im Gespräch mit unserer Zeitung entwirft, klingt allerdings nicht weniger dramatisch. Am Ende wäre Griechenland vermutlich ein Entwicklungsland mitten in Europa.
Gegen einen Grexit spricht aus seiner Sicht vor allem die mangelnde Professionalität von Ministerpräsident Alexis Tsipras und seinen Mitstreitern. Um aus einer Währung auszusteigen und eine neue einzuführen, sagt Heinemann, „benötigen Sie eine kompetente Regierung und eine leistungsfähige Verwaltung“. Wie bei der Einführung des Euro müssten für eine Übergangszeit alle Konten in beiden Währungen geführt, Preise doppelt ausgezeichnet, Geldautomaten und Supermarktkassen neu programmiert und jede Menge weiterer Vorarbeiten geleistet werden. „Für ein technisch derart komplexes Projekt brauchen Sie Gestaltungswillen – und den hat die griechische Regierung nicht.“ Eine neue Währung falle ja „nicht einfach mal vom Himmel“. Außerdem löse sie das teuerste Problem der Griechen nicht: Ihre Auslandsschulden würden weiterhin in Euro geführt.
Heinemann: Baldige Staatspleite für Griechenland?
Wenn Griechenland und seine Gläubiger sich nicht noch überraschend einigen, rechnet Heinemann mit einer baldigen Staatspleite und chaotischen Zuständen im ganzen Land: Bürger, die verzweifelt ihre letzten Ersparnisse von ihren Konten abheben, bankrotte Banken und am Ende womöglich der Kollaps des kompletten Finanzsystems. Griechenland wäre dann noch immer ein Euroland – allerdings eines, in dem es Waren und Dienstleistungen nur noch gegen Bargeld gibt. „Im privaten Bereich mag das funktionieren“, sagt Heinemann. „Auf staatlicher Ebene sicher nicht.“
Zunächst könne sich die Regierung vielleicht noch damit behelfen, die Renten und die Gehälter der Beamten nur noch zu 70 oder 80 Prozent auszuzahlen. Irgendwann aber bekämen die Krankenhäuser Probleme, weil kein Geld mehr für Medikamente da sei. „Da kann Tsipras versprechen, was er will. Das Land stagniert dann vor sich hin.“ Griechenland könne nicht „am Montag in die Pleite schlittern und sie am Freitag wieder beenden.“
Mit ihrer Verweigerungshaltung beschwöre die Regierung ein ökonomisches und soziales Drama regelrecht herauf, kritisiert Heinemann. „Die Rezession wird sich verschärfen, die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen, und das wird vor allem die Ärmsten treffen.“ Damit erreiche Griechenland genau das Gegenteil von dem, was es erreichen wollte: „Es lebt dann von der Hand in den Mund.“ Also von den Steuern, die es noch einnimmt.
Wächst in Griechenland eine Parallelwährung heran?
Auf diesem Boden der Unsicherheit könnte allerdings auch eine Parallelwährung heranwachsen, wie der zypriotische Nobelpreisträger Christopher Pissarides sie vorschlägt: Irgendwann würde der Staat Renten und andere Leistungen nicht mehr direkt auszahlen, sondern nur noch mithilfe von Schecks, Schuld- oder Gutscheinen, auf denen nominell ein Betrag von 800 oder 1000 Euro steht – beim Einlösen im Laden oder an der Tankstelle aber wären die Papiere möglicherweise nur noch die Hälfte wert. Damit, so Heinemann, werde aus einer Notlösung eine Art Zahlungsmittel. Auch erste Namen dafür kursieren schon: Geuro (für Griechen-Euro), Neue Drachme oder auch IOU, die Abkürzung für „I owe you“, was auf Deutsch so viel heißt wie: Du hast etwas gut bei mir.
Dass EU-Europa offenbar schon einen Notfallplan in der Tasche hat, findet Heinemann nur konsequent. Bei einer Regierung, die nicht kooperiere, bleibe den Gläubigern nichts anderes übrig als Maßnahmen wie die strenge Begrenzung des Kapitalverkehrs vorzubereiten – so wie vor zwei Jahren in Zypern. Um den Abfluss weiteren Kapitals und einen Run auf die Banken zu verhindern, durfte jeder Zypriote zunächst nicht mehr als 1000 Euro in bar mit auf eine Auslandsreise nehmen und nicht mehr als 190 Euro von seinem Konto abheben. Mittlerweile hat sich die Lage stabilisiert, sodass die Kapital-Kontrollen wieder abgeschafft wurden. Ob Griechenland im Falle eines Falles ähnlich kooperativ wäre, ist jedoch unklar. Falls nicht, hätte Europa nur noch eine Möglichkeit: Griechenland im Geldverkehr komplett zu isolieren.
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