Behörden fürchten steigende religiöse Spannungen in Deutschland
Angesichts der Debatte über die Verteilung kostenloser Korane durch Salafisten fürchten die Sicherheitsbehörden wachsende Spannungen in Deutschland.
Es bestehe die "Gefahr, dass das politische und religiöse Klima in Deutschland sich weiter aufheizt", hieß es am Freitag in Sicherheitskreisen in Berlin. Die Behörden würden in den kommenden Wochen "ganz besonders sensibel" die Sicherheitslage beobachten.
Die Koranverteilung werde weiter "sorgfältig beobachtet", hieß es in den Sicherheitskreisen. Am Wochenende solle sie an bundesweit mindestens 38 Ständen fortgesetzt werden, was die Sicherheitsbehörden vor eine "Herausforderung" stelle. Ein Einschreiten sei aber nicht möglich und auch nicht erwünscht. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies darauf, dass das bloße Verteilen des Korans von der Religionsfreiheit gedeckt sei.
Verfassungsschutz: "Es geht hier um salafistische Propaganda"
Das Bundesamt für Verfassungsschutz wertet die Verteilung kostenloser Korane als "Propaganda". "Es geht hier um salafistische Propaganda und die Rekrutierung von Anhängern", sagte der Sprecher des Amtes, Bodo Becker, dem "Kölner Stadt-Anzeiger" vom Freitag. Koran-Verteilung sei das falsche Stichwort.
Becker erinnerte an eine Einschätzung des Verfassungsschutz-Präsidenten Heinz Fromm über die Salafisten aus dem vergangenen Sommer. "Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist; aber jeder uns bekannte Terrorist war irgendwann einmal in salafistischen Zusammenhängen unterwegs", zitierte Becker den Präsidenten. Dieser Satz habe weiterhin Gültigkeit.
Salafisten sind Anhänger einer fundamentalistischen Strömung des Islam. Sie streben nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden einen islamischen Gottesstaat an, der mit der westlichen Demokratie unvereinbar ist. Die Behörden gehen derzeit von rund 4000 Menschen im salafistischen Umfeld in Deutschland aus. Davon sei etwa ein Dutzend als Führungspersönlichkeiten einzustufen.
Ermittlungen wegen Drohvideo gegen Journalisten
Wegen eines Drohvideos gegen zwei deutsche Journalisten im Internet wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums inzwischen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Es sei "absolut nicht hinnehmbar, dass in Deutschland Journalisten bedroht werden", sagte ein Sprecher. Die Ermittlungen richten sich laut Sicherheitskreisen gegen den Deutsch-Tunesier Ben A., der bereits in der Vergangenheit durch salafistische Umtriebe im Internet aufgefallen sei.
Das Video habe sich gegen zwei Mitarbeiter der "Frankfurter Rundschau" und des Berliner "Tagesspiegel" gerichtet. Das Bundeskriminalamt sehe derzeit aber keine konkreten Anhaltspunkte für eine "Gefährdung der Personen und der Medien", hieß es in den Kreisen. Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass solche Drohungen über das Internet eine Eigendynamik entwickelten "und es dann Reaktionen gibt".
Mit Sorge wird auch die Aktion der islamkritischen nordrhein-westfälischen Bürgerinitiative "Pro NRW" betrachtet, unter dem Motto "Freiheit statt Islam" einen Karrikaturenwettbewerb auszuschreiben. Die Karikaturen sollen dann vor Moscheen in NRW gezeigt werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz habe einen "besonderen Blick" auf die Gruppe, hieß es in den Kreisen. Gegen die Aktion vorzugehen, sei aber wegen des Rechts auf Meinungsäußerung sowie der Kunstfreiheit schwierig.
In der Debatte über die Verteilung kostenloser Korane durch Salafisten erinnerten Politiker von SPD und FDP unterdessen an das Grundrecht der Religionsfreiheit. Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann erklärte in Berlin, in einem freien Land dürfe "selbstverständlich die Heilige Schrift einer Weltreligion verbreitet werden".
FDP-Fraktionsvize: "Kein Raum" für Verbot der Aktion
Die FDP-Fraktionsvize Gisela Piltz mahnte, für ein Verbot der Aktion gebe es "keinen Raum". Hartmann bezeichnete die aktuelle Debatte über die Koran-Verteilaktion unter anderem in Fußgängerzonen als "grotesk". "Verboten werden kann und darf so etwas nicht. Ein liberaler Rechtsstaat hält dies mit Leichtigkeit aus."afp
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