Binnen eines Jahres wurde die Ukraine zum geteilten Land
Vor einem Jahr begannen die Proteste in der Ukraine. Auf Druck Putins stoppte Kiew den proeuropäischen Kurs. Von da an nahm das Schicksal seinen verhängnisvollen Lauf.
Es ist ein Jahr her, erst ein Jahr, dass es in der Ukraine zu brodeln begann. Die politische Lage war zwar vor dem November 2013 bereits angespannt, aber der aus dem Osten des Landes stammende Präsident Viktor Janukowitsch schien alles unter Kontrolle zu haben. Er verhandelte mit der EU über ein Assoziierungsabkommen, das der ehemaligen Sowjetrepublik wirtschaftliche Vorteile gebracht hätte. Hauptstreitpunkt in der Endphase der Gespräche war, ob und wann die in einem politischen Prozess verurteilte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko aus dem Gefängnis entlassen würde.
Janukowitsch wandt sich von Europa ab
Dann, am 21. November vor einem Jahr, ließ Janukowitsch eine politische Bombe platzen: Er sagte die Unterzeichnung des Vertrags mit der EU ab. Dies geschah auf Druck des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Janukowitsch im Gegenzug günstige Kredite und Rabatte bei den Gaslieferungen versprochen hatte. Noch am selben Tag riefen Bürger zu Demonstrationen auf. Tausende versammelten sich auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, der bereits 2004 Schauplatz der prowestlichen Orangenen Revolution gewesen war.
Proteste in Kiew wurden immer lauter
Die Protestbewegung „Euro-Maidan“ wurde so groß, dass sie die Regierung nicht mehr ignorieren konnte. Die Demonstranten belagerten den Platz Tag und Nacht. Als Sprecher profilierten sich Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko (heute Bürgermeister von Kiew) und Timoschenko-Stellvertreter Arseni Jazenjuk (heute Ministerpräsident).
Anfang 2014 versuchte das Regime, die Bewegung gewaltsam zum Schweigen zu bringen. Es gab an die 100 Tote, aber die Proteste hörten nicht auf. Am 21. Februar floh Janukowitsch nach Russland.
Proeuropäische Revolution erwirkte das Gegenteil
Doch die Ukraine kam nicht zur Ruhe, im Gegenteil. Putin nutzte die Situation aus, um die Schwarzmeer-Halbinsel Krim, deren Bevölkerungsmehrheit russischstämmig ist, unter seine Kontrolle zu bringen. Die Annexion gilt im Westen als Bruch des Völkerrechts.
Im Donez-Becken („Donbass“) sagten sich russischstämmige Separatisten von der Zentralregierung in Kiew los und riefen die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk aus. Die proeuropäische Kiewer Regierung versuchte, den Aufstand im Osten gewaltsam zu beenden, scheiterte jedoch. In dem Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Separatisten sind mehr als 4000 Menschen gestorben. Auch das Minsker Abkommen, auf das sich die Konfliktparteien am 5. September einigten, führte nicht zum erhofften Waffenstillstand.
Ukraine ist heute ein geteiltes Land
Heute ist die Ukraine ein geteiltes Land. Die Krim ist zumindest vorerst verloren, entlang der Grenzen zu den „Volksrepubliken“ wird weiter gekämpft. Der im Mai gewählte Präsident Petro Poroschenko regiert faktisch nur im größeren Westteil des Landes. Dasselbe gilt für das Parlament (Oberste Rada) in Kiew. Die Wahlen im September gewannen proeuropäische Parteien.
Unruhen lassen nicht nach
Die „Volksrepubliken“ veranstalteten am 2. November eigene Wahlen, die international nicht anerkannt wurden. Militärisch und finanziell werden die Separatisten von Russland unterstützt. Der Verwaltungschef der Stadt Donezk, Igor Martinow, gestand der Frankfurter Allgemeinen, dass seine Kommune „nicht nur ein bisschen Geld, sondern viel“ erhalte, um die öffentlichen Aufgaben zu bezahlen.
Das Gedenken an ein Jahr Maidan fiel gestern in Kiew wenig harmonisch aus. Bürger forderten, die Schuldigen für den Tod der Demonstranten im Januar und Februar zu bestrafen. Präsident Poroschenko wurde ausgebuht. US-Vizepräsident Joe Biden zog es vor, seinen Wagen erst gar nicht zu verlassen.
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