Bomben am Palmsonntag
Ägypten erlebt einen der blutigsten Tage der letzten Jahre. Der IS-Terror zielt nicht nur auf die christliche Minderheit des Landes
In ihren weiß-roten Gewändern stehen die koptischen Würdenträger in der Kirche St. Georg und singen. Es ist ein besonderer Sonntag für die Christen in der Stadt Tanta im Nildelta nördlich von Kairo. Es ist der Palmsonntag vor Ostern. Dann fällt das Bild des Videos aus. Die gewaltige Explosion ist nur zu hören. Sie hallt an den Wänden des Gotteshauses wider und erfasst dutzende Gläubige.
Kurze Zeit später in Alexandria: Ein Mann will in die Kirche St.Markus eindringen, in der das koptisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt, Papst Tawadros II., die Messe hält. Nach Darstellung des Innenministeriums halten ihn Sicherheitskräfte zurück. Er sprengt sich vor dem Gotteshaus in die Luft, reißt viele Menschen mit in den Tod.
Der schwerste Angriff seit Jahren auf Christen in Ägypten forderte mehr als 40 Menschenleben. Er traf die religiöse Minderheit, zielte aber auf die Stabilität eines ganzen Landes. Wacklige Handyvideos flimmern über die Fernseher. Sie zeigen einen blutverschmierten weißen Steinboden, menschliche Überreste und in Panik fliehende Personen. Ein Bild verweilt auf einem zurückgelassenen Schuh am Anschlagsort Tanta.
Am Nachmittag passiert das, womit ohnehin schon jeder gerechnet hatte. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert die Bluttat für sich. Wie vor vier Monaten, als ein Selbstmordattentäter in Kairo fast 30 Menschen in einer Kirche tötete. Die Dschihadisten, die seit Jahren im Norden der unruhigen ägyptischen Sinai-Halbinsel aktiv sind, zielen seit Monaten verstärkt auf die Millionen Christen im Land, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie wollen dabei ganz Ägypten destabilisieren.
Es ist eine Kampfansage auch an die autoritäre Regierung des Landes, das von westlichen Politikern gerne als dringend benötigter „Stabilitätsanker“ mitten im Tumult arabischer Bürgerkriege bezeichnet wird. Ein wackelndes Ägypten würde in Berlin und Washington Besorgnis auslösen.
Der Terror ist eines der größten Probleme von Staatschef Abdel Fattah al-Sisi. Kürzlich stand er neben Kanzlerin Angela Merkel im Präsidentenpalast und verteidigte seine autoritäre Führung angesichts der Terrorbedrohung, die man zur Kenntnis nehmen müsse. Ägypten wünsche niemandem diese Bedrohungen. Er sagte auch, niemandem sei es erlaubt, eine Kirche anzugreifen. Kritiker halten ihm allerdings entgegen, dass er mit der rigorosen Bekämpfung aller – auch gemäßigter – Islamisten die nächste Generation von Extremisten heranzüchte.
Merkel bescheinigte den Christen am Nil vor ihrem Besuch noch „eine sehr gute Situation für die Ausübung ihrer Religion“. Ägypten sei in dieser Hinsicht „beispielhaft“. Und in der Tat leben Christen und Muslime in Ägypten, das Ende April von Papst Franziskus besucht werden soll, größtenteils friedlich Seite an Seite. Doch der IS könnte vereinzelte Spannungen nun verschärfen.
Nach einer Mordserie auf dem Sinai mussten zuletzt hunderte Kopten in andere Landesteile fliehen. Ägyptens Christen dürften sich so bedroht fühlen wie lange nicht. Unter dem islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi, der 2013 gestürzt wurde, befürchteten viele die Unterdrückung durch den Staat. Heute haben sie Angst vor roher Gewalt. Benno Schwinghammer, dpa
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