Brexit-Abstimmung: Vier Szenarien sind heute möglich
Dienstagabend stimmt das britische Parlament über das Brexit-Akommen ab. Scheitert der Deal von Theresa May? Die möglichen Szenarien im Überblick.
Bis zuletzt wurde im britischen Parlament und hinter den Kulissen gestritten, debattiert und verhandelt. Am Dienstagabend wollen die Abgeordneten nun endlich über das EU-Austrittsabkommen und die politische Erklärung abstimmen, auf die sich London und Brüssel geeinigt haben. Bislang sieht es nicht danach aus, als ob Premierministerin Theresa May eine Mehrheit für den Vertrag bekommen kann. Im Gegenteil: Beobachter erwarten eine krachende Niederlage. Doch was passiert, sollte der Brexit-Deal abgelehnt werden? Vieles hängt davon ab, wie viele Parlamentarier in diesem Fall dagegen votieren und aus welchen Reihen die Gegenstimmen stammen.
Brexit-Szenario 1: May scheitert und verhandelt mit der EU nach
Als wahrscheinlichstes Szenario gilt im Königreich, dass die Regierungschefin nach einer mehr oder minder moderaten Niederlage versuchen wird, der EU Zugeständnisse abzuringen und im Anschluss eine zweite Abstimmung anzuberaumen, unter Umständen könnte diese bereits nächste Woche stattfinden. Auch wenn es in Brüssel stets hieß, man wolle das Paket nicht noch einmal aufschnüren, könnten die beiden Verhandlungspartner kosmetische Änderungen in der politischen Erklärung vornehmen, die jedoch – anders als der Austrittsvertrag – rechtlich nicht bindend ist.
May würde derweil versuchen, Parlamentarier ihrer konservativen Partei sowie Abgeordnete der Opposition zu überzeugen, entweder für den leicht abgewandelten Kompromiss zu stimmen oder sich zu enthalten. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftswelt in diesen Tagen der Ungewissheit hinter den Kulissen massiven Druck auf die Politik ausübt, was wiederum Einfluss auf die Rebellen haben könnte. Denn die Zeit wird knapp, am 29. März 2019 schon scheidet das Land aus der Gemeinschaft aus. Am Ende würde es darauf ankommen, wie viele der derzeitigen Kritiker einem zweiten Parlamentsvotum fernbleiben oder den Deal widerwillig – wohl mehr aus Sorge vor einem ungeregelten Austritt als aus Überzeugung – billigen. Und damit May schlussendlich einen Erfolg bescheren könnten.
Brexit-Szenario 2: Krachende Niederlage für Theresa May - und Neuwahlen?
Sollte die Premierministerin beim Wahlgang am Dienstag aber krachend verlieren, wenn etwa die Hälfte des Parlaments gegen den Deal stimmt, hat May ein Problem. Die Konservative führt ohnehin nur eine Minderheitsregierung unter Duldung der nordirischen Unionistenpartei DUP, die das Abkommen ebenfalls ablehnen will. Dass sie aber zurücktritt, gilt als unwahrscheinlich. Zu zäh, widerspenstig und scheinbar unverwüstlich zeigte sich die Regierungschefin in der Vergangenheit, als dass sie nun freiwillig gehen würde. Oder hat sie doch genug?
In diesem Fall müssten die Konservativen einen neuen Vorsitzenden bestimmen, was wiederum einige Wochen dauern würde. Die Opposition spekuliert dagegen auf Neuwahlen. Will man Labour-Chef Jeremy Corbyn glauben, plant die Labour-Partei, ein Misstrauensvotum gegen May einzubringen, sollte der Deal im Unterhaus scheitern. Doch wie Neuwahlen zur Lösung der verzwickten Situation beitragen sollen, bleibt ein Rätsel – außer dass sie die Karrieren einiger Politiker beflügeln könnten.
Brexit-Szenario 3: Ungeordneter Austritt führt zu Chaos
Was aber, wenn der Vertrag weder rechtzeitig ratifiziert noch der Austritt verschoben wird? Dann würde es zu einer ungeregelten Scheidung kommen ohne Übergangsfristen, außerdem zu einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland. Die Folgen eines No-Deal-Szenarios sind nicht abzusehen.
Einig sind sich Beobachter, dass ein abrupter Bruch zu Chaos und großer Unsicherheit an den Finanzmärkten führen würde. Zudem drohen am Zoll lange Wartezeiten sowie kilometerlange Staus vor dem Fährhafen in Dover. Manche befürchten sogar eine Lebensmittelknappheit und auch neue Unruhen an der irischen Grenze werden nicht ausgeschlossen.
Brexit-Szenario 4: Überraschende Einigung und geordneter Austritt
In den vergangenen Wochen zog Theresa May über die Insel und gab nur eine Devise aus: „Mein Deal, kein Deal oder kein Brexit.“ So versuchte sie, sowohl die EU-Skeptiker als auch die Europafreunde von ihrem Kompromiss zu überzeugen. Könnte sie am Dienstag also doch gewinnen? Dann scheidet das Königreich Ende März wie geplant aus und die Übergangsphase beginnt, in der die Briten zunächst im Binnenmarkt sowie in der Zollunion verbleiben. Alle EU-Regeln gelten weiterhin auf der Insel, nur ein Mitspracherecht hat der Drittstaat dann nicht mehr. Es handelt sich bei der mindestens bis Ende 2020 dauernden Übergangsperiode um eine Schonfrist für die Wirtschaft. Zudem wollen London und Brüssel dann die künftige Beziehung verhandeln.
Einige Brexit-Gegner im Parlament hoffen jedoch, dass es soweit überhaupt nicht kommt. Sie wollen mit der Ablehnung des Abkommens ein erneutes Referendum erzwingen. Doch ihre Chancen stehen schlecht. Sowohl die Regierung unter May als auch die Opposition unter Labour-Chef Jeremy Corbyn haben stets betont, das Votum vom Juni 2016 respektieren zu wollen. Beide Seiten lehnen es ab, abermals das Volk zu befragen. Noch. Die Position von Labour könnte sich nämlich in naher Zukunft ändern – je nach Stand der Umfragen in der tief gespaltenen Bevölkerung.
Einfach würde es ohnehin nicht. Denn erst müsste es zu Neuwahlen kommen und ob der lebenslange EU-Skeptiker Corbyn dann wirklich für eine zweite Volksabstimmung eintritt? Das scheint unwahrscheinlich. Und ob Labour eine Wahl überhaupt gewinnen würde? Oder doch ein konservativer Brexit-Anhänger wie Ex-Außenminister Boris Johnson? Und welche Alternative würde eine Mehrheit im Parlament erreichen? „Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was passieren wird“, antwortete kürzlich ein BBC-Reporter auf die Frage nach der Zukunft – und sprach damit dem politischen Westminster aus der Seele.
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Brexit-Abstimmung im Unterhaus: Uhrzeit, Ergebnis, Live-Stream
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