Contra Sterbehilfe: Wir dürfen Selbsttötung nicht zur Lösung machen
Wer will die Tür wieder schließen, wenn wir unsere Haltung zur Unantastbarkeit des Lebens so grundlegend ändern? Es gibt viele Gründe gegen die Legalisierung der Sterbehilfe.
Ich bin klar gegen jede Form organisierter und kommerzieller Sterbebeihilfe. Erstens, weil es bei der Beihilfe zur Selbsttötung eines Menschen – auch des schwer kranken und sterbewilligen – um eine Frage des unverfügbaren Lebensrechts geht. Zweitens, weil eine Gesellschaft mit humanem Antlitz, die diesen Namen verdient, alle Möglichkeiten der Palliativmedizin, der Pflege und der sozialen Zuwendung zu Menschen in Not bereitstellen muss, statt den Exit in den Suizid zu befördern. Und drittens, weil alle Erfahrungen zeigen, dass die Öffnung der Tür zur organisierten und möglicherweise kommerziell motivierten Sterbehilfe eine schiefe Ebene auftut, die eine Gesellschaft und Ihre Haltung zur Unantastbarkeit des Lebens grundlegend ändert.
Wer will die Tür wieder schließen, wenn selbst von engsten Angehörigen Druck ausgeht? Wer will die Grenze benennen, wenn wie in Belgien der ungeheure Kulturbruch der Suizidbeihilfe an Kindern eintritt? Und wer will das offene Tor wieder verbarrikadieren, wenn auch bei nichteinwilligungsfähigen Personen, bei Menschen mit Behinderung und bei psychisch und demenziell erkrankten Patienten die Frage der Suizidbeihilfe entsteht? Wie weit ist der Weg zur Euthanasie?
Bitte um Beihilfe zum Suizid ist oft ein Phänomen der Angst
Vor einer entscheidenden Illusion will ich warnen. Die Bitte um Beihilfe zum Suizid ist in den allermeisten Fällen nicht Ausdruck einer frei verantwortlichen und selbstbewussten Entscheidung für den eigenen Tod, sondern ein Phänomen der Angst! Eine Expertenanhörung im Deutschen Ethikrat zeigte drei Gründe: Angst vor großen Schmerzen, Angst vor dem Pflegefall und Angst vor dem Alleinsein.
Dagegen hätten wir gute Gegenmittel: Die Förderung der Palliativmedizin und Schmerzlinderung, und damit die Stärkung von Suizidprävention. Das bestätigt auch der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery, der erklärt, dass die absolute Mehrheit der Menschen, die um ärztlich assistierten Suizid bitten, von diesem Anliegen zurücktreten, wenn glaubhaft Schmerzen gelindert und die Angst genommen werden kann. Des Weiteren geht es um den Ausbau und die Ausfinanzierung von Pflege und Hospiz, die Menschen in der letzten, vielleicht wichtigsten Phase ihres Lebens einen friedlichen, liebevoll begleiteten Raum für das eigene Sterben ermöglichen.
Schließlich soll kein Mensch in unserer wohlhabenden Gesellschaft das Gefühl haben, überflüssig oder belastend zu sein und deswegen den Weg in den Tod suchen zu müssen. Auch im Blick auf die vielfältigen psychischen Krankheitsbilder, vor allem aber in der Angst vor Demenz erscheint mir ein Lebenszeugnis stichhaltig, das wir Inge Jens, der Frau des berühmten Rhetorikprofessors Walter Jens verdanken. Sie berichtet über ihren Mann, der sich für den Fall einer Demenzerkrankung in seiner Patientenverfügung für aktive Sterbebeihilfe ausgesprochen hatte: „Als Gesunder hat er für Sterbehilfe plädiert, und als Kranker hat er leben wollen. Mit dieser Erkenntnis bin ich noch lange nicht fertig. Doch wer hätte das Recht gehabt ihn umzubringen?“
Selbsttätung darf nicht als Lösung präsentiert werden
Eine Gesellschaft mit humanem Antlitz und rechtsstaatlichem Anspruch steht und fällt mit der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens. Recht und Ethik dürfen keine schiefe Ebene begründen, in der Selbsttötung als Lösung präsentiert, assistiert oder organisiert wird. Gerade in der Mischung von gesellschaftlichem Druck und persönlicher Ausweglosigkeit muss eine Gesellschaft ihr humanes Gesicht zeigen. Sie muss beschützen, begleiten und helfen, statt Exit-Strategien aus dem Leben zu legalisieren.
Der Bundestag steht vor einer einschneidenden Weichenstellung, dem Trend der Normalisierung der Suizidbeihilfe entgegen zu wirken, wichtige Bausteine in der Stärkung von Maßnahmen zur Suizidprävention zu setzen, die Weiterentwicklung der Palliativmedizin, der Pflege und der Ausweitung des Hospizangebotes zu fördern.
Die Gesetzesnovelle sollte einen rechtsstaatlichen Pflock einrammen, der den Wert und die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens bis zum letzten Augenblick bestätigt und in dieser Wertschätzung bis zum letzten Augenblick Hoffnung macht.
Dr. Dr. Anton Losinger ist Weihbischof im Bistum Augsburg. Auch als Mitglied des Deutschen Ethikrates beschäftigt er sich mit der Sterbehilfe.
Lesen Sie auch die Gegenmeinung: "Pro Sterbehilfe: Menschen selbst bestimmen lassen"
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