Wenn keine Lehren aus der Wahl gezogen werden, kann das die Erosion der Volksparteien befördern und Politik verführbarer und instabiler machen. Ein Kommentar.
Es ist ein Satz, der in seiner Schlichtheit so bemerkenswert wie tollkühn ist: „Da Bayern ein sehr erfolgreiches Bundesland ist, braucht es keinen grundsätzlichen Kurswechsel in der Politik.“ Ausgesprochen hat ihn dieser Tage Thomas Kreuzer, Fraktionschef jener Partei, die immerhin zehn Prozentpunkte bei der Landtagswahl verloren hat. Dass es eben jene Mischung aus Hochmut und Wurstigkeit ist, an der die CSU gescheitert ist, wird verdrängt. Es scheint, als ob der Schwelbrand, den die Parteispitze mit ihrem Krawall-Feuerwerk gelegt hat, allen die Sicht vernebelt.
Die CDU in Baden-Württemberg zeigt, wie schnell es gehen kann
Dabei müsste Markus Söder nur zu unseren Nachbarn schauen: Wie schnell eine Partei vor den ausgebrannten Trümmern ihres einst so stolzen Erbes stehen kann, lässt sich am Beispiel Baden-Württemberg beobachten. Auch hier dachte die CDU, die Verlängerung ihres Abonnements für die Staatskanzlei sei nicht mehr als ein Verwaltungsakt. Kreuzchen machen, fertig. Was heute oft vergessen wird: Am Ende war es nicht die Stärke der Grünen, die 2011 die Mappus-CDU aus dem Amt gejagt hat, sondern die Schwäche und Blasiertheit der eigenen Führung. Das Eingestehen von Fehlern? Erneuerung? Fehlanzeige! Politiker-Mikado wird das Spiel genannt: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die Wähler haben die Masche längst durchschaut.
Die Volksparteien haben das Land über Jahrzehnte gefestigt
Umfragen lassen erahnen, wie die Konsequenz aussehen könnte: Die Volksparteien verlieren an Boden. Historische Tiefstände messen die Demoskopen. Eine Überraschung ist das nicht. Mit ihren ideologischen Grundpositionen werden die großen politischen Organisationen in einer entideologisierten Gesellschaft zur trägen Masse. Eine gute Nachricht ist das nicht. Denn es waren die Volksparteien, die dem Land über Jahrzehnte hinweg eine festigende Struktur verliehen haben. Und denen es im Übrigen gelungen war, Gegensätze in sich zu vereinen.
Unsere Gesellschaft erträgt scheinbar keine Gegensätze mehr
Die Politikwissenschaft definiert eine Volkspartei als eine Partei, die im Prinzip für Bürger aller gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Weltanschauungen offen ist. Der Begriff „Union“ im Namen von CSU und CDU kommt nicht von ungefähr: Unter ihrem Dach können sich (noch) Milieus versammeln, deren größte Gemeinsamkeit nicht selten die gegenseitige Aversion war – die einen wählten die CSU eben wegen Barbara Stamm, die anderen wegen Alexander Dobrindt. Doch nicht nur die Politik, auch die Gesellschaft tut sich zunehmend schwer damit, Gegensätze auszuhalten. Die ideelle Heimat ist eng umzäunt. Wer mit einer Person hadert, für den stirbt die komplette Partei.
Warum die Grünen keine Volkspartei sein wollen
Welch Ironie der Geschichte ist es da, dass ausgerechnet die Grünen, die gerade den Höhenflug ihres Lebens erfahren, sich mit aller Vehemenz dagegen stemmen, als die neue Volkspartei bezeichnet zu werden. Seit Jahren kokettiert die ehemalige Protestpartei mit ihren Erfolgen, tauscht um der Macht willen Positionen schon mal gegen Pragmatismus ein. Doch kaum ist das Ziel in greifbare Nähe gerückt, erkennt die Grünen-Spitze, dass sie sich die Finger verbrennen könnte. Parteichefin Baerbock gibt die Losung aus: „Das Konzept der Volkspartei ist nicht mehr die Antwort auf das 21. Jahrhundert, das kann man überall in Europa sehen.“ Bewegung möchte man sein, das klingt irgendwie moderner. Aber auch beliebiger. Denn ob eine Regierung künftig noch den politischen Willen der Mehrheit ausdrücken kann, wenn sich mehrere 20-Prozent-Parteien in einer Art Zufallsprinzip zu einer Koalition zusammenschließen, darf bezweifelt werden. Unberechenbarer wird Politik dadurch, verführbarer – und deutlich instabiler.
Die Diskussion ist geschlossen.
Schon bei Maybrit Illner letzten Donnerstag ließ Dobrindt klar erkennen wohin für ihn der Hase läuft. Mit CSU und AfD "wächst zusammen was zusammen gehört" - zum "bürgerlichen Lager". Der Kursschwenk von Söder und Konsorten zu einer Abgrenzung von den Rechtsbraunen wenige Tage vor der Wahl war Theater. Der Schmierenkomödie 2. Akt beginnt. Die Ost-CDU - zu DDR-Zeiten bereits sehr anschmiegsam an die SED, legt gerade alle Hemmungen ab und übt - bislang noch auf unteren Ebenen - bereits den Schulterschluss mit den "bürgerlichen" Rechtspopulisten. Sie gibt die Richtung vor.
Einer Staatspartei muss das politische Herz bluten, wenn sie sieht, dass sie sich von 60% Zustimmung praktisch selber auf gerade 37% reduziert hat. Mit anderen Worten: die Macht gezwungen ist , zu teilen
Das heißt nicht, dass sie aus dieser dramatischen Reduzierung ihrerselbst bereit ist Konsequenzen zu ziehen.
Das was abgelaufen ist, ist ja ein blockierender Alpha-Konflikt, der weiterhin besteht und in dem keiner der Kontrahenten bereit ist, sich zu reduzieren und der Partei als Ganzes damit einen Dienst zu erweisen. Das liegt eben auch in der angesprochenen Aussage des Thomas Kreuzer. Der Staat verkommt zur Verfügungsmasse Einzelner oder Weniger.
Die Sache mit den Gegensätzen. Könnte es nicht sein, dass dem Bürger als Wähler gerade NICHT das allgegenwärtige Wischiwaschi oder eine politische Krawalltour als zukunftsweisend attraktiv erscheint , sondern sichtbare politische Gegensätze als Kernelemente der Parteien?
Wehrhafte Demokratie gründet sich ja nicht auf den EINEN politischen Topf der sogenannten Mitte, der verbal so oft missbraucht wird.
Jahrelang wurde uns politische Alternativlosigkeit vorgebetet. Im erkennbaren Gegenteil aber liegt Sinn und Wert unserer wehrhaften Demokratie.
Danke für wieder einen gelungenen Kommentar, Frau Hufnagel.
Sehr geehrte Frau Hufnagel, der "Wandel" den Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen herbeischreiben wollten und immer noch herbeikommentieren wollen, findet nicht statt und wird auch dem Wählerwillen gemäß nicht stattdinden. Bayern hat nahezu 70 % konservativ gewählt (die AfD schließe ich da mal mit ein) und der rot-grüne Rest steht draußen vor der Tür. Der Wählerwille in Bayern ist sonnenklar (mal abgesehen von der Landeshauptstadt Prantlhausen und deren Generalanzeiger)...