Der Wunschzettel der SPD für eine Große Koalition
Martin Schulz wird von Merkel und Seehofer einen hohen Preis für eine Koalition fordern. Aber in welchen Punkten dürfen die Genossen mit Entgegenkommen rechnen?
Am Mittwoch, zwölf Tage vor Heiligabend, wird SPD-Chef Martin Schulz CDU-Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer einen Wunschzettel präsentieren, der es in sich hat. Die Liste der Forderungen, an deren Erfüllung seine Partei ihr Ja zu einer Neuauflage der Großen Koalition knüpft, ist lang. Bei der Union tönt es dagegen, dass die Kompromissbereitschaft Grenzen hat.
Ein Selbstläufer wird eine neue GroKo also keinesfalls, zumal beim SPD-Parteitag klar wurde, dass viele Genossen grundsätzliche Bedenken hegen. Weitere vier Jahre als Juniorpartner einer Merkel-Regierung, so fürchten sie, würde die zur 20-Prozent-Partei geschrumpfte SPD noch tiefer in den Abgrund reißen. Dabei gibt es – was die Umsetzbarkeit politischer Vorhaben betrifft – für die Sozialdemokratie jetzt durchaus große Chancen.
Bei manchen Themen müssen CDU und CSU der SPD praktisch sofort entgegenkommen. Das Rückkehrrecht von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle etwa war schon Gegenstand des Koalitionsvertrags von 2013, wurde aber nicht umgesetzt. Auch eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wäre eine vertrauensbildende Maßnahme, ohne die ein neuer schwarz-roter Pakt kaum möglich scheint. Zur Bekämpfung der Wohnungsnot bekennt sich nicht nur die SPD, auch die Union will aktiv werden. Über die SPD-Forderung einer besseren Mietpreisbremse wird zwar gestritten werden, einig sind sich beide Seiten aber darin, dass sie den Wohnungsbau ankurbeln wollen.
Trotz unterschiedlicher Auffassungen im Detail wollen Konservative wie Sozialdemokraten kräftig in die Bildung investieren. Und angesichts hoher Steuerüberschüsse sind die Spielräume dafür vorhanden. Dies gilt auch für die Ankündigung beider Lager, die Polizei zu stärken.
Die Gelegenheit für die SPD ist günstig
Reichlich Zündstoff bietet die Europapolitik. Doch wenn Martin Schulz die „Vereinigten Staaten von Europa“ bis 2025 fordert, weiß er, dass das eine Bundesregierung nicht so einfach beschließen kann. Angesichts der Euro-Skepsis in vielen östlichen EU-Ländern wird sein Vorstoß kein allzu großes Echo finden. Auf ein Bekenntnis zum europäischen Gedanken und auf verstärkte Anstrengungen etwa beim Schutz der Außengrenzen könnte man sich aber allemal einigen.
Auch das umstrittene Thema Rente ist so groß und von so vielen Unwägbarkeiten geprägt, dass es sich wunderbar auf die lange Bank schieben lässt. Die Partner könnten vereinbaren, Lösungen in einem fortlaufenden Prozess auszutüfteln. Explosiver ist der Bereich Gesundheit. Die SPD will die private Krankenversicherung abschaffen. Doch so vehement die Genossen die Bürgerversicherung fordern, so kategorisch lehnen sie die Konservativen ab. Wenn das Thema die Koalition nicht verhindern soll, muss ein gesichtswahrender Kompromiss her. Bei dem es etwa darum geht, Leistungsunterschiede zwischen gesetzlicher und privater Versicherung abzubauen.
In der Frage der Zuwanderung liegen die beiden Parteien dagegen nicht so weit auseinander, wie es oft den Anschein hat. Die SPD fordert ein Einwanderungsrecht, das den Zuzug von Arbeitskräften regelt. Das erinnert stark an das „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ aus dem Wahlprogramm der Union. Eine starre Obergrenze für Flüchtlinge, lange Kernforderung der CSU, lehnt die SPD ab. Doch das tut auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel.
Der Unions-Kompromiss sieht einen flexiblen Richtwert für die Aufnahme von Geflüchteten vor, der bei 200.000 Menschen pro Jahr liegen soll. Beim SPD-Parteitag hat auch Außenminister Sigmar Gabriel darauf hingewiesen, dass die Kapazitäten für Aufnahme und Integration nicht unbegrenzt seien. Die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränkten Schutzstatus will die SPD nicht weiter verlängern – im Gegensatz zu vielen Unionspolitikern. Doch ein Kompromiss in dieser Frage schien auch in der Endphase der Jamaika-Sondierungen greifbar.
In der brisanten Frage des Klimaschutzes dürfte eine Einigung sogar einfacher sein als in der Jamaika-Runde, in der die Grünen erbittert für einen umfassenden Kohleausstieg gekämpft hatten. Noch immer sind die Stimmen der Bergleute stark in der SPD. Sie fordern einen behutsamen Rückzug aus der Kohleverstromung – wie die CDU.
So zeigt die Gesamtschau: In einer Fortsetzung der Großen Koalition würden zwar nicht alle sozialdemokratischen Träume wahr werden. Doch für die angezählten Genossen ist die Gelegenheit, einer ebenfalls angeschlagenen Union die Erfüllung einiger Herzenswünsche abzutrotzen, so günstig wie selten zuvor.
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