Der heimliche Oppositionschef Christian Lindner
Keine Regierung mehr, sondern nur noch eine „Reagierung“: FDP-Chef Lindner rechnet mit der Politik der Koalition ab. Von Westerwelle hat er etwas Wichtiges gelernt.
Es gibt Steilvorlagen, die ein Politiker einfach annehmen muss. Die Entscheidung der Fraktionsoberen von Union und SPD, sich in der vergangenen Woche zur Frühjahrsklausur ausgerechnet in einem Freizeitpark im badischen Rust zu treffen, ist eine solche Vorlage. Besser als mit diesem Bild, stichelt FDP-Chef Christian Lindner, könne man den Zustand der Regierung gar nicht beschreiben: „Zwischen Achterbahn und Geisterbahn.“
FDP-Chef Lindner: „In Wahrheit will die SPD gar nicht mehr regieren“
Es ist eine temperamentvolle Rede, mit der Lindner den 67. Ordentlichen Bundesparteitag der Liberalen in einem ehemaligen Postbahnhof in Berlin eröffnet, und eine angriffslustige obendrein. „In Wahrheit will die SPD doch gar nicht mehr regieren“, sagt er. „Sie will aus der Regierung befreit werden.“ Wie der heimliche Oppositionsführer spricht der 37-Jährige von einer schleichenden Regierungskrise, von der Angst der etablierten Parteien vor der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland, die diese erst zu einem politischen Faktor mache, und von der gegenwärtig größten Herausforderung, den Flüchtlingen, die die Koalition nicht meistere. „Den Krisen wird doch nur noch hinterherregiert“, kritisiert Lindner – und ätzt unter dem Beifall der Delegierten: „Wir haben keine Regierung mehr, wir haben nur noch eine Reagierung.“
Mit dem Rückenwind von insgesamt fünf Landtagswahlen, bei denen die FDP seit Anfang vergangenen Jahres teilweise kräftig zugelegt hat, kann Lindner leicht die Muskeln spielen lassen. Pünktlich zum Parteitag liegen die Liberalen in der ersten bundesweiten Umfrage wieder bei acht Prozent, sie haben in Rheinland-Pfalz gerade einen Koalitionsvertrag für eine sogenannte Ampel mit Sozialdemokraten und Grünen ausgehandelt und sogar in der liberalen Diaspora Berlin gute Chancen, im Herbst wieder ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.
Damit sei die Trendwende geschafft, diagnostiziert Lindner, ohne dabei gleich euphorisch zu werden. Vor zwei Jahren, scherzt er, hätte die Parteispitze sich noch nackt vors Brandenburger Tor stellen können, um für ein Grundrecht auf Freikörperkultur zu demonstrieren, niemand hätte Notiz davon genommen. Heute aber seien es die Liberalen, die den Unterschied machten in einem Parteiensystem, in dem es kaum noch Unterschiede zwischen den anderen Parteien gebe. „Wenn wir nicht dabei sind“, sekundiert der bayerische Landesvorsitzende Albert Duin, als sei der Einzug in den Bundestag nur noch eine Formalie, „dann wird das nichts.“
Das Motto des FDP-Parteitags ist "Beta Republik Deutschland"
Das Motto dieses Parteitages erschließt sich nicht jedem Teilnehmer auf den ersten Blick. „Beta Republik Deutschland“ steht auf der gelben Wand hinter dem Rednerpult, als träfen sich hier gleich ein paar junge Programmierer zu einem Hackerkongress. Lindner dagegen will mit dieser Anleihe aus der Sprache der Digitalen die Freude am Neuen symbolisieren, das Innovative und Unkonventionelle, für das die FDP in Zukunft auch stehen soll. So wie ein Software-Entwickler ein Programm, das noch nicht ganz ausgereift ist, in einer sogenannten Beta-Version testet, so versteht der FDP-Vorsitzende den Liberalismus in der digitalen Welt. Risikobereitschaft, Offenheit, Neugier, mehr auszuprobieren, ohne immer gleich perfekt sein zu müssen: Die Tugenden eines Start-up-Unternehmens nimmt Lindner als Blaupausen für ein politisches Labor, „in dem nicht nur der Status quo verwaltet wird“.
Dass in diesem Labor Konservative und Liberale irgendwann wieder einträchtig nebeneinandersitzen, ist damit allerdings noch nicht gesagt. Die Schmach der Niederlage von 2013, als die FDP krachend aus dem Bundestag flog, hat auch das Verhältnis der Liberalen zur Union erschüttert – und der Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise tut nun ein Übriges. Eine schwarz-gelbe Mehrheit in einem Parlament, warnt Lindner, führe in Zukunft nicht automatisch zu einer schwarz-gelben Regierung. Guido Westerwelle hat für diese Politik einst den sperrigen Begriff von der Äquidistanz erfunden, einen möglichst gleich großen Abstand zu Union und SPD. Die jetzt verabredete Koalition in Rheinland-Pfalz ist für die neue, konsolidierte FDP nun die logische Konsequenz dieses Denkens, die erste Abkehr von der alten Lagerlogik, wenn man so will.
„Dreier-Konstellationen werden die Zukunft sein“, sagt Parteivize Michael Theurer aus Baden-Württemberg. Die FDP dürfe sich deshalb nie mehr so eng an die Union binden wie früher. „Nur die dümmsten Kälber“, sagt Theurer, „wählen ihre Merkel selber.“
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