Die Bundestagswahl ist auch ein Wettstreit der Wahlforscher
Immer mehr Institute legen in immer kürzeren Abständen ihre Umfragen vor. Trotz eines immensen Aufwandes sind sie vor Blamagen nicht gefeit. Betrachtung einer speziellen Branche.
Umfragen sagen nicht das Wahlergebnis voraus. Das betonen Demoskopen gerne – insbesondere, wenn ihr Institut am Wahltag danebenliegt. Der Satz mag richtig sein. Doch die Öffentlichkeit geht mit den Erhebungen anders um: Das Gros der potenziellen Wähler, aber auch viele Politiker nehmen die Zahlen eben doch als Prognose für den Wahlausgang wahr. Dementsprechend groß ist die Verunsicherung, wenn die Meinungsforscher mal so richtig danebenhauen.
Und das kommt vor: So wurde die AfD bei Landtagswahlen mehrmals unterschätzt, die britischen Kollegen lagen vor der Brexit-Abstimmung daneben, in den USA sahen fast alle Institute die Demokratin Hillary Clinton vor Donald Trump.
Dass es immer mehr Unternehmen gibt, die Demoskopie betreiben, ist indessen längst keine Prognose mehr, sondern eine Tatsache. Bei der Erhebung der Daten haben sich zwei verschiedene Ansätze herausgebildet. Die meisten der etablierten Unternehmen wie Forsa, Emnid oder Infratest dimap setzen auf die klassischen Telefonumfragen. Neuere Plattformen wie Yougove akquirieren ihre Daten über Online-Umfragen.
Wie die Zahlen entstehen, ist streng geheim
Die Schwierigkeit – manche sagen gar „die Kunst“ – an der Sache ist es nun, die erfassten Rohdaten so zu gewichten, dass die Stimmungslage im Lande möglichst genau wiedergegeben wird. Wie das im Einzelnen geschieht, ist in den meisten Instituten ähnlich geheim, wie das Rezept für Coca-Cola. Das bringt den Demoskopen regelmäßig den Vorwurf ein, intransparent zu agieren oder gar mit Umfragen Politik zu machen. Als sicher kann gelten, dass das Gewichten – wenn es sorgfältig geschieht – ein hochkomplexes Metier ist.
Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter hat die Unwägbarkeiten, mit denen die Branche konfrontiert ist, im Gespräch mit unserer Zeitung folgendermaßen zusammengefasst: „Die Prognosen sind derart komplex, dass es eher verwunderlich ist, dass die Umfragen oft so genau sind. Sie dürfen nicht vergessen, dass manche Bürger, die befragt werden, gar nicht zur Wahl gehen. Andere sagen schlicht nicht die Wahrheit. Viele wollen nicht zugeben, dass sie die AfD wählen. Der Bekennermut ist da sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zudem wird die Wahlentscheidung immer später getroffen, manchmal erst in der Wahlkabine.“
Mehr als nur die Sonntagsfrage
Trotz dieser schwer zu berechnenden Faktoren sehen die Experten die Chancen der SPD und ihres Spitzenkandidaten Martin Schulz, mit einer Schluss-Rallye noch entscheidenden Boden auf die Union gutzumachen, nahe null. „Es wäre die erste Wahl in der Geschichte der Menschheit, in der alle unentschiedenen Wähler mit wehenden Fahnen zu einer Partei laufen würden“, sagte der Geschäftsführer von Infratest dimap, Nico Siegel, der Deutschen Welle.
In den letzten Wochen vor der Wahl nimmt die Öffentlichkeit fast nur noch die gute alte Sonntagsfrage zur Kenntnis. Doch das Geschäftsfeld der Meinungsforscher geht natürlich weit über die Frage „Was wäre, wenn am Sonntag tatsächlich Bundestagswahl wäre…“ hinaus.
Parteien geben mitunter selbst Umfragen in Auftrag. Allerdings ist das teuer. Immer häufiger lassen sie sich stattdessen von renommierten Demoskopen politisch beraten. Das geschieht in der Regel hinter den Kulissen. In der Union gilt als offenes Geheimnis, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Expertise des Wahlforschers Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen vertraut. Jung, selber bekennender CDU-Sympathisant, rät der Union schon seit langem dazu, um die Mitte zu werben. Sein Argument: Die Zahl der konservativen Stammwähler schwindet. Merkel hat diese Strategie offensichtlich längst verinnerlicht. In der CSU stoßen die Thesen Jungs allerdings auf wenig Begeisterung.
Gar nicht zimperlich geht der Chef des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, mit der SPD um. Obgleich er seit den 60er Jahren das rote Parteibuch hat, liest er den Sozialdemokraten regelmäßig die Leviten. Das ist auch bei dieser Bundestagswahl nicht anders. Güllner warf der SPD in unserer Zeitung vor, mit dem Gerechtigkeitswahlkampf „völlig auf dem Holzweg“ zu sein. Seit 1949 habe die Partei „nie einen Wahlkampf gewonnen, wenn sie dieses Thema in den Mittelpunkt gestellt und voll auf Umverteilung gesetzt hat“. Er und seine Kollegen sind sich einig, dass diese Serie auch 2017 Bestand haben wird.
Die Diskussion ist geschlossen.