Die Bundeswehr im Auslandseinsatz: Unsichtbare Gegner
Frust und Berichte über Alkoholprobleme machen der Bundeswehr im Auslandseinsatz zu schaffen. Laut einer Umfrage würden drei von vier Soldaten vom Dienst in der Truppe abraten.
Der jüngste Vorfall ist erst gut zwei Wochen alt: Um 23.20 Uhr Ortszeit hallte an jenem Sonntagabend ein Schuss durch das Bundeswehrlager in Masar-i-Scharif in Afghanistan: Die Kugel aus der Heckler & Koch-P 8 durchschlug die Wand eines Unterkunftscontainers. Ein dahinter schlafender Soldat hatte Glück – das Projektil blieb in seinem Bett stecken und er unverletzt. Eine „ungewollte Schussabgabe“ meldete die Einsatzführung anschließend: "Nach derzeitigem Sachstand kann nicht ausgeschlossen werden, dass der schussabgebende Soldat Alkohol konsumiert hatte."
Hat die Bundeswehr ein Alkoholproblem?
Hat die Bundeswehr in Afghanistan ein Alkoholproblem? Diesen Schluss legt jetzt ein Bericht von Spiegel online nahe. Demnach hat der neue Kommandeur in Masar-i- Scharif, General Jörg Vollmer, seit seinem Amtsantritt im Februar 17 Disziplinarverfahren wegen Alkoholverstößen eingeleitet. In 14 Fällen endeten sie damit, dass die Betroffenen vorzeitig nach Deutschland zurückgeschickt wurden. Soldaten horteten angeblich Vorräte für ausgiebige Gelage. Zudem seien im Blut eines Stabsgefreiten, der sich Anfang Juni offenbar aus privaten Gründen mit seiner Waffe das Leben genommen hatte, 2,0 Promille Alkohol festgestellt worden.
Oberstleutnant Thomas Kolatzki vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr bestätigt, dass die 14 Soldaten wegen Alkoholverstößen nach Hause geschickt wurden. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagt er und betont jedoch, dass es sich angesichts von 12 000 dieses Jahr in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten um wenige Einzelfälle handle: „Die Bundeswehr ist, auch wenn das abgedroschen klingt, ein Spiegel der Gesellschaft, da kommt es auch vereinzelt zu Alkoholmissbrauch“, sagt der Bundeswehrsprecher.
Offiziell gilt die "Zwei-Dosen-Regel"
Tatsächlich habe Kommandeur Vollmer in Masar-i-Scharif alle Führungskräfte angewiesen, dass die Spielregeln für Alkohol eingehalten und streng kontrolliert würden. „Im Hintergrund steht immer die Einsatzfähigkeit nicht nur des gesamten Kontingentes, sondern auch des einzelnen Soldaten, damit er nicht zum Sicherheitsproblem für sich oder andere wird“, sagt Sprecher Kolatzki.
Bei Alkohol gilt bei den Auslandseinsätzen ganz offiziell die „Zwei-Dosen-Regel“. Eine Dose heißt dabei 0,33 Liter Bier oder 0,5 Liter Biermixgetränk mit Limonade oder Cola. Alternativ sind 0,25 Liter Wein oder Sekt erlaubt. Härtere Sachen sind sowieso tabu. Ausgeschenkt wird nur in „Betreuungseinrichtungen“, wie Lagerkneipen offiziell heißen, in der Regel nur zwischen 20 Uhr und 22.30 Uhr. Jeder Soldat bekommt eine persönliche Rationskarte, auf der sein Konsum vermerkt wird, die Getränke sollen geöffnet übergeben werden.
„Die Zwei-Dosen-Regel hat sich aus unserer Sicht bewährt“, betont Oberstleutnant Kolatzki. Dafür spreche auch die geringe Zahl an Verstößen. Für die Soldaten gehöre es dazu, dass sie auch mal vom Einsatz abschalten könnten. Dass andere Nationen wie die Amerikaner, Niederländer und Australier etwa ein striktes Alkoholverbot verhängen, teils mit Androhung der unehrenhaften Entlassung, sei auch eine „Kulturfrage“, sagt Kolatzki.
Studie: Drei von vier Soldaten raten von der Bundeswehr ab
Auch unter Journalisten in Afghanistan, die seit Jahren Patrouillen begleiten, heißt es, dass kein Fall bekannt sei, bei dem deutsche Soldaten im gefährlichen Einsatz außerhalb des Camps alkoholisiert aufgefallen wären. Viele würden während des monatelangen Aufenthaltes gar nichts trinken.
Und so dürfte die Bundeswehr weiterhin wichtigere Probleme haben: Eine diese Woche vorgestellte Studie des Bundeswehr-Verbandes offenbart einmal mehr den um sich greifenden Frust in der Truppe: Drei Viertel der über 2000 befragten Soldaten würden ihren Bekannten vom Bundeswehrberuf abraten. Zwei Drittel fühlen sich nicht von der Politik unterstützt, und 85 Prozent sehen die Bundeswehr nach dem Ende der Wehrpflicht nur noch mittelmäßig bis sehr schlecht in der Gesellschaft verankert. Nur ein positives Urteil sticht aus der Studie heraus: 67 Prozent der Soldaten bewerten die Arbeit der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen mit „gut“ bis „sehr gut“. (mit dpa)
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