Die Gotteskrieger aus dem Kaukasus
Einst richtete sich die Wut der Islamisten aus Tschetschenien oder Dagestan auf das benachbarte Russland. Heute sind sie international vernetzt, wie der Anschlag in Boston zeigt
Moskau Islamistische Ideen verbreiten sich zunehmend auch im Nordkaukasus. Waren die terroristischen Aktivitäten der Untergrundkämpfer aus der Region einst vor allem gegen Russland gerichtet, so intensiviert sich seit einigen Jahren die Vernetzung mit der internationalen Dschihad-Bewegung. Auch einer der beiden mutmaßlichen Attentäter von Boston suchte vor der Tat Kontakt zu kaukasischen Extremisten.
Tamerlan Zarnajew, der ältere der beiden aus Tschetschenien stammenden Brüder, lebte 2012 für mehrere Monate in Dagestan und hatte Kontakt mit Mittelsmännern des Untergrunds. Das berichtet jetzt die kremlkritische Zeitung Nowaja Gazeta unter Berufung auf russische Geheimdienstkreise.
Wie jede Nordkaukasus-Republik hat auch Dagestan ein eigenes „Zentrum für den Kampf gegen den Extremismus“. Hier arbeiten operative Einsatzkräfte gegen die zunehmend islamistisch geprägten Terrorgruppen. „Unser besonderes Augenmerk gilt Ausländern und Russen, die gerade zum Islam konvertiert sind“, erklärt einer der Ermittler der Nowaja Gazeta. Denn diese Zuwanderer seien „stark ideologisiert und psychisch verwundbar“, man könne sie leicht überreden, „sogar zum Selbstmordattentat.“
Tamerlan Zarnajew fällt offenbar in diese Gruppe. Der Amateur-Boxer reist im Januar 2012 nach Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans. Offiziell besucht er hier seinen Vater Ansor und beantragt einen neuen russischen Pass. Doch im April 2012 fällt er den russischen Fahndern öfter in Begleitung eines jungen Mannes namens Machmud Nidal auf. Dieser gilt als Kontaktmann zur Anwerbung neuer Kämpfer. Die Geheimdienstler lassen zwar Zarnajews Telefon überprüfen, doch ergeben sich daraus keine konkreten Verdachtsmomente.
Als seine Kontaktmänner tot sind, flieht Zarnajew in die USA
Den Ermittlern fällt allerdings auf, dass sich der Name Tamerlan Zarnajew bereits in ihren Dateien befindet. Hintergrund: Im Jahre 2010 wird in Dagestan der 21-jährige William Plotnikow verhaftet. Der Kanadier russischer Herkunft war zum Islam konvertiert, in Dagestan wollte er seine religiöse Ausbildung fortsetzen und stand im Verdacht, Kontakte zu Extremisten zu pflegen. Befragt, welche Nordkaukasier er im Ausland noch kenne, nennt Plotnikow unter anderem Tamerlan Zarnajew.
Im Mai 2012 wird Zarnajews dagestanischer Kontaktmann Machmud Nidal während einer Polizeiaktion getötet. Bei einer weiteren Aktion im Juli 2012 stirbt auch William Plotnikow, der sich zuvor den Terroristen angeschlossen hat. Zwei Tage nach Plotnikows Tod flieht Tamerlan Zarnajew abrupt aus Machatschkala. Sein Ziel: die USA. Seinen beantragten neuen russischen Pass holt er nicht mehr ab.
„Unter den muslimischen Regionen Russlands bildet der Nordkaukasus ein Epizentrum des islamischen Aufruhrs“, heißt es in einer Studie des Kaukasus-Experten Uwe Halbach vom Zentrum für Wissenschaft und Politik in Berlin. Die nationale Widerstandsbewegung gegen die Herrschaft Russlands, die einst im tschetschenischen Kampf um die Unabhängigkeit begann, sei im Laufe der Jahre in einen „regionsweiten Dschihad“ umgeschlagen.
Ein Blick zurück: Im November 2007 ruft der tschetschenische Untergrundführer Doku Umarow das „Kaukasus-Emirat“ aus. Er begründet diesen Schritt damit, die „islamische Jugend“ sei nicht mehr bereit, unter einer bestimmten nationalen Flagge zu kämpfen, sondern rüste sich für den Dschihad. Zu Umarows Emirat gehören nach seiner Vorstellung alle nordkaukasischen Teilrepubliken, deren Kämpfer einen Eid auf ihn geschworen haben. „Das Kaukasus-Emirat ist keine regionale Filiale von El Kaida“, sagt Halbach, es stehe aber in Kontakt zu anderen Dschihad-Fronten.
Als besonderer Unruheherd im Kaukasus gilt Dagestan, die Nachbarrepublik Tschetscheniens, wo auch der Boston-Attentäter Tamerlan Zarnajew versuchte, seine Kämpfer-Kontakte aufzubauen. Laut einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2011 halten 12 Prozent der Schüler und Studenten in Dagestan den militanten Dschihad für legitim, 20 Prozent sympathisieren zumindest mit den radikalen Parolen der Islamisten.
Die Brüder Zarnajew hatten am 15. April zwei Sprengsätze in Boston gezündet. Wie gestern bekannt wurde, hatten sie offenbar zunächst vor, am US-Nationalfeiertag am 4. Juli Selbstmordanschläge zu verüben. Das soll Dschochar Zarnajew ausgesagt haben. Er sitzt in Haft. Sein Bruder Tamerlan wurde auf der Flucht getötet.
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