ESC-Siegerin Jamala: Die Stimme der Krimtataren
Mit ihrem Lied „1944“ gewinnt die ukrainische Sängerin Jamala den ESC 2016. Die 32-Jährige aus Kiew hat eine Mission – und wollte, dass Europa sie hört
Es war der erste Song in der langen Geschichte des Eurovision Song Contests (ESC), der stellenweise in Krimtatarisch gesungen wird. Die ukrainische Sängerin Jamala, die in Stockholm in einem königsblauen Kleid auftrat, gewann damit den Wettbewerb. Ihr Lied „1944“ ist eine Ballade mit Widerhaken, die in der austauschbaren Pop-Welt auffallen musste. Politik? Provokation? Pop? „Sie töten euch alle“, lautet eine Textzeile des ukrainischen Gewinnerliedes.
Während andere Interpreten über Liebe und Lust singen, präsentiert die Krimtatarin Jamala das Leid ihrer Urgroßmutter: „1944“ handelt vom Schicksal hunderttausender Tataren auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim, die unter Sowjetdiktator Josef Stalin nach Zentralasien deportiert wurden. Und es hat auch mit Jamalas eigener Lebensgeschichte zu tun. Unter ihrem bürgerlichen Namen Susana Jamaladinowa wurde sie am 27. August 1983 in Osch im zentralasiatischen Kirgistan geboren. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 kehrte sie mit ihrer Familie auf die Krim zurück – die Heimat ihres Vaters. Noch heute leben ihr Vater und ihre armenische Mutter auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel. Den Erfolg der Tochter beobachten die Eltern aus der Ferne: Zuletzt habe sie die Familie 2014 besucht, sagt Jamala in einem Interview. Sie lebt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Jamala sang schon als kleines Kind im Chor, in Kiew absolvierte sie eine Ausbildung zur Opernsängerin. 2009 wurde sie bei einem Wettbewerb in Lettland entdeckt.
Schon 2011 wollte sie für ihr Land in Düsseldorf noch mit einem weniger politischen Lied antreten, wurde bei der Vorausscheidung Dritte. Als Inspirationsquelle für Stockholm nannte sie die Musik des Geigers Itzhak Perlman im Drama „Schindlers Liste“ (1993) von US-Regisseur Steven Spielberg.
ESC-Gewinnerin ist politisch aktiv
Wie die ukrainische ESC-Gewinnerin Ruslana von 2004 („Wild Dances“) ist Jamala auch politisch aktiv. Deshalb habe ihr Siegerlied natürlich eine Mission, sagt die Sängerin nach ihrem Triumph in Stockholm: „Wer über die Wahrheit singt, kann Menschen berühren.“ Jamala sieht ihren Sieg beim Eurovision Song Contest (ESC) auch als Zeichen dafür, dass der blutige Konflikt in ihrer Heimat dem übrigen Europa nicht egal ist. „Ich wollte sehr, dass mich ganz Europa hört – alle Leute, die sagten, dass es Europa gleichgültig ist, was bei uns in der Ukraine passiert: dass bei uns Krieg herrscht, die Annexion (der Krim), dass Revolution war“, sagte die 32-Jährige dem ukrainischen Fernsehen.
Nun sei deutlich geworden, dass die Führung in Kiew auf ihrem prowestlichen Kurs nicht allein sei, meinte Jamala. „Als wir die hohen Punktzahlen erhielten, habe ich wirklich verstanden, dass Europa uns hört. Es versteht uns“, sagte die Sängerin in dem am Sonntag ausgestrahlten Interview. „Wenn du offen über deinen Schmerz singst, kann das niemandem gleichgültig sein.“ (AZ, dpa)
Die Diskussion ist geschlossen.