Entscheidet sich der Brexit in London?
London sucht einen neuen Bürgermeister. Für die Konservativen deutet sich ein Debakel an. Aus Sicht der EU-Gegner wäre das ein böses Omen für das Referendum. Kommt es zum Brexit?
In London trifft sich alle Welt. Die Metropole mit ihren mehr als 8,6 Millionen Einwohnern ist bunt und laut, hektisch und voll, international und vibrierend. Nur eines nicht – langweilig. Umso verwunderlicher ist, dass die beiden Kandidaten für den künftigen Bürgermeisterposten in London genau das sind: langweilig.
Am Donnerstag wählen die Bürger der britschen Hauptstadt einen Nachfolger für den schrillen und beliebten Amtsinhaber Boris Johnson. Der Konservative strebt nach Höherem und hat sich nicht noch einmal für den Posten im Rathaus aufstellen lassen. Derzeit kämpft der extrovertierte Blondschopf, der sich 2015 als Abgeordneter ins Unterhaus wählen ließ, mit allen rhetorischen Mitteln für den Ausstieg der Insel aus der Europäischen Union. Am 23. Juni dürfen die Briten in einem Referendum über ihre Mitgliedschaft abstimmen.
Galt Boris Johnson als charismatischer Manager und Botschafter der Marke London, so sind sowohl der Konservative Zac Goldsmith als auch der Labour-Politiker Sadiq Khan weit davon entfernt. Sie kämpfen um den Einzug in die City Hall – scheinen die Londoner mit ihren Vorschlägen aber nicht überzeugen zu können. Dabei ächzt die Metropole unter einem chronischen Mangel an Wohnraum und explodierenden Immobilienpreisen, die Normal- und Geringverdiener aus der Stadt zwingen. Dazu kommt der immer teurer werdende öffentliche Nahverkehr. Und auch die Bekämpfung der Kriminalität gehört zu den Top-Themen.
Konservative wollten Brexit-Beführworter Rückenwind verschaffen
Weniger wichtig ist im Wahlkampf dagegen die Diskussion um Europa. Goldsmith wollte sich zwar mit seiner EU-Skepsis in den Windschatten seines Parteikollegen Johnson stellen, das aber hat nicht geklappt. Denn Europafreund Sadiq Khan führt im linken London seit Wochen die Umfragen an. Das sorgt für Unruhe im Goldsmith-Lager. Denn die Konservativen hatten gehofft, mit einem Sieg in London dem Lager der Brexit-Befürworter Rückenwind verschaffen zu können.
Statt in sachlichen Debatten greifen die Konservativen daher Khan persönlich an. Und tatsächlich könnten die beiden Männer unterschiedlicher kaum sein. Der Konservative Zac Goldsmith, Milliardärssohn einer jüdischen Aristokratenfamilie, wurde am elitären Eton-College ausgebildet, wo auch Premierminister David Cameron zur Schule ging. Sadiq Khan dagegen hat sich im klassengeprägten Königreich von unten hochgearbeitet. Der ehemalige Rechtsanwalt für Menschenrechte und Sohn eines Busfahrers stammt aus einer pakistanischen Einwandererfamilie.
Was passiert, wenn es zum Brexit kommt?
Weil Goldsmith bislang kaum aufholen konnte, rückte er die Religion von Sadiq Khan in den Vordergrund. Dieser könnte der erste muslimische Bürgermeister Londons werden. Laut seinem konservativen Gegner habe sich der Labour-Kandidat nicht deutlich genug von radikalen Islamisten abgegrenzt. Die Sozialdemokraten schimpfen, die Vorwürfe seien Teil einer islamophoben Schmutzkampagne. Khan betont, er habe sich sein Leben lang gegen Extremismus engagiert und wirft seinem Mitbewerber vor, im Stile Donald Trumps zu taktieren. Geholfen hat die Strategie Goldsmith nicht, im Gegenteil: Es hagelt Kritik.
Doch selbst wenn der Labour-Kandidat am Donnerstagabend zum neuen Bürgermeister ernannt werden sollte, seine Partei droht in einem anderen Landesteil so schlecht abzuschneiden wie nie. In Schottland wird laut Umfragen die Schottische Nationalpartei SNP hinzugewinnen. Sollte es zum Brexit kommen, will Ministerpräsidentin und SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum beantragen.
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