Erdbeben überschattet Merkels Besuch in Italien
Zum zweiten Mal binnen zehn Tagen treffen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Italiens Regierungschef Matteo Renzi. Das schwere Erdbeben ändert jedoch einiges am Plan.
Vor einer Woche sah die Lage noch ganz anders aus. Italiens Regierungschef Matteo Renzi wollte sich wenige Tage nach dem Dreiergipfel mit Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande auf einem Flugzeugträger vor der Insel Ventotene erneut mit Merkel treffen. Es sollte wieder ein symbolträchtiger Ort sein, dieses Mal Maranello, am Hauptsitz des Autobauers Ferrari - Stolz und Seele Italiens.
Hier in Norditalien, dem Wirtschaftsmotor des Landes, sollte es vor allem um wirtschaftspolitische Fragen gehen. Doch vor einer Woche fing die Erde in Italien an zu beben, fast 300 Menschen starben, ganze Dörfer liegen in Schutt und Asche.
Seitdem ist Renzi im Dauereinsatz und versucht, seinen Landsleuten Trost zu spenden und einen schnellen Wiederaufbau zu organisieren. Merkel hatte Renzi signalisiert, dass sie die Konsultationen auch verschieben könne. Das Bundeskabinett wollte die Regierung in Rom nicht zusätzlich belasten und es ihr freistellen, ob es diese lange geplante Zusammenkunft gibt oder nicht.
Auf der anderen Seite kann es aber eben auch ein Trost sein, wenn ein "Freund und Partner" Italien in Trauer und mit Solidarität zur Seite steht, wie es aus Berlin hieß. Die Solidarität dürfte sich konkret daran bemessen lassen, ob und wie die EU der Bitte Roms nachkommen wird, wegen der Naturkatastrophe die Stabilitätskriterien für das hoch verschuldete Land zu lockern, damit es mehr Geld für den Wiederaufbau hat.
Auch wenn das Erdbeben präsent ist, im Kern geht es um anderes: Um die Wirtschaftsflaute und die Bankenkrise in Italien, um ein nicht enden wollendes Flüchtlingsproblem und eine schwere EU-Krise nach der Entscheidung der Briten, die Gemeinschaft zu verlassen.
Dreierbündnis zwischen Merkel, Renzi und Hollande
Italien ist nach dem Brexit offenbar zu einem der wichtigsten Gesprächspartner Deutschlands geworden. Nach dem Brexit-Votum im Juni lud Merkel nicht nur Frankreichs Staatspräsident Hollande zu Beratungen nach Berlin ein, sondern eben auch Renzi. Dieses Dreierbündnis gab es so vorher nicht. Und mit wem sonst reden in Südeuropa, vor allem was die Flüchtlingskrise betrifft? Spanien ist seit Monaten mit einer Polit-Seifenoper um die Regierungsbildung beschäftigt. Griechenland steht unter Kontrolle der Gläubiger. Mit der Ankunft und Unterbringung von Migranten ist es überfordert.
Der italienische EU-Staatssekräter Sandro Gozi sagte der dpa, in Maranello müssten Deutschland und Italien zeigen, dass sie Verantwortung in der EU übernehmen. Themen seien unter anderem die Sicherung der Außengrenzen, Verteidigung in Zeiten von Terror und ein Engagement der EU in Afrika, damit nicht mehr so viele Migranten von dort aufbrechen.
Zwar haben sich die Befürchtungen Italiens bisher nicht bewahrheitet, dass nach Schließung der Balkanroute Anfang März mehr Flüchtlinge in das Land kommen. Aber seit Jahresbeginn sind es nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration fast 107 000 Migranten, im Vorjahreszeitraum waren es mehr als 116 000. Allein zu Beginn der Woche wurden fast 7000 Menschen an einem Tag aus Seenot gerettet.
Italien dringt seit Jahren auf eine faire Lastenteilung, gleichzeitig lobte Renzi in letzter Zeit Deutschland ausdrücklich dafür, so viele Migranten aufzunehmen. Und Merkel räumte ein, dass Deutschland die Hilferufe von Ländern wie Italien und Spanien zu lange nicht gehört habe. Der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch) sagte sie: "Schon 2004 und 2005 kamen ja viele Flüchtlinge, und wir haben es Spanien und anderen an den Außengrenzen überlassen, damit umzugehen. Und ja, auch wir haben uns damals gegen eine proportionale Verteilung der Flüchtlinge gewehrt."
Wirtschaft Italiens bleibt Sorgenkind
Großes Sorgenkind bleibt die Wirtschaft Italiens. Das Wachstum stagnierte im zweiten Quartal 2016. Merkel lobte zwar bei vorherigen Besuchen stets Renzis Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Aber richtig bemerkbar machen sich die bei den Menschen noch nicht. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als elf Prozent, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist mit mehr als 39 Prozent ein Problem. Seit Monaten wiederholt Renzi, dass es eine EU der Werte und nicht der Technokraten und der Sparmaßnahmen brauche. Es müsse mehr investiert werden. Aber die Staatskassen sind leer, Italien sitzt auf einem gigantischen Schuldenberg.
Die Wirtschaftsexpertin Veronica De Romanis sagte der dpa, Merkel habe kein Interesse daran, die "böse Stiefmutter" zu spielen und die südeuropäischen Partnerländer dafür zu schelten, dass sie die vorgeschriebenen Sparmaßnahmen nicht einhielten. "Merkel will die gemeinsame Währung mit Partnern teilen, die ein starkes und nachhaltiges Wachstum haben."
Renzi will daher Merkel auch für sich gewinnen, um in Brüssel für mehr Flexibilität zu werben. Wenn er das schafft, steht er auch bei seinen Landsleuten wieder besser da. Seine Zukunft steht und fällt mit einem Referendum im Herbst, in dem die Rechte des Senats beschnitten werden sollen. Falls die Italiener mit Nein stimmen, könnte auch Renzi stürzen. Und ein unstabiles Italien - die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone - mit einer Regierungskrise ist das letzte, was die EU derzeit braucht. Von Annette Reuther und Kristina Dunz, dpa
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