Flüchtlingskrise: Wie Europa eine neue Nähe zur Türkei sucht
Durch die Flüchtlingskrise ist die Europäische Union plötzlich auf Ankara angewiesen. Deshalb werden Angebote gemacht – auch finanzielle.
Die Flüchtlingskrise verändert die politische Landkarte: „Man erkennt jetzt die Umrisse einer Kooperation mit der Türkei“, beschrieb Kanzlerin Angela Merkel am frühen Freitagmorgen die „grundsätzliche“ Einigung auf einen Aktionsplan mit Ankara.
Zwar blieben am Ende des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs Fragen offen, aber selbst der skeptische Ratspräsident Donald Tusk gab dem Deal mit der Türkei seinen Segen, als er sagte: „Wenn sie uns helfen, helfen wir ihnen.“
In den kommenden Tagen wollen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und auch Merkel mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan über dessen Forderung nach drei Milliarden Euro aus Europa reden. Die Kanzlerin signalisierte Verständnis: „Das Land hat in der Flüchtlingskrise bereits sieben Milliarden Euro ausgegeben und nur eine Milliarde bekommen.“
Am Donnerstagabend war man in Brüssel schon so weit, Ankara die geforderte Summe zuzusagen. Aber einige Regierungschefs wollten dann doch lieber warten, um sicherzugehen, dass „die Türkei auch tut, was sie verspricht“. Bisher sind lediglich 500 Millionen angesetzt, um neue Auffanglager für Flüchtlinge auf türkischem Boden oder in einer Schutzzone in Nordsyrien zu errichten. Diesen entmilitarisierten Streifen müsste man mithilfe der Vereinten Nationen aber erst schaffen.
Wiederbelebung der Freundschaft zur Türkei?
Das lange Zeit distanzierte Verhältnis zu Ankara beginnt sich tiefgreifend zu verändern. Noch vor einem Jahr nach der Wahl Erdogans zum Staatspräsidenten hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheurer festgestellt: „Die Erdogan-Türkei hat in Europa nichts verloren.“ In der Not der Stunde aber scheint die Gemeinschaft bereit, Tabus zu brechen. Wobei Frankreichs Staatspräsident François Hollande betonte: „Es kann keine Visa-Liberalisierung geben, wenn es keine Kontrollen gibt, wenn die Türkei die Bedingungen nicht respektiert.“
Ankara soll seine Grenzen dicht- machen, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Als Gegenleistung scheint Brüssel bereit, die seit zehn Jahren dahindümpelnden Beitrittsgespräche zu beleben. 34 Politikbereiche umfasst jedes Aufnahmeverfahren. In allen müsste sich die Türkei europäischem Niveau anpassen. Bisher wurden nur 13 Verhandlungspakete eröffnet. Davon liegen acht auf Eis, weil sich die Türkei weigert, das EU-Mitglied Zypern anzuerkennen und eine Lösung für die geteilte Insel anzustreben. Noch immer dürfen Schiffe und Flugzeuge aus dem europäischen Südteil die Türkei nicht ansteuern.
Vor allem Bundeskanzlerin Merkel hatte eine Vollmitgliedschaft Ankaras stets abgelehnt und stattdessen eine „privilegierte Partnerschaft“ ins Spiel gebracht. Beim Gipfel hieß es ausdrücklich, den Fortgang der Verhandlungen könne man nicht beeinflussen, weil die Europäische Kommission die Gespräche selbstständig führt. „Wir werden mit der Türkei in den nächsten Tagen über das Ganze reden“, signalisierte Kommissionspräsident Juncker eine neue Offenheit.
Erdogan-Politik solle nicht unterstützt werden
Die wird nicht von allen geteilt. Rebecca Harms, Chefin der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, warf den Staats- und Regierungschefs vor, mit Milliardenzahlungen Wahlkampf für Erdogan und seine umstrittene islamische Nationale Heilspartei zu machen. Sie erklärte, dass es falsch ist, wenn „die Vertreter der EU und die Regierungschefs zu der politischen Eskalation in der Türkei schweigen“.
Genau dieser Punkt steht bisher einer weitergehenden Wiederbelebung der Freundschaft im Weg. Denn eigentlich würde Ankara gerne als sicherer Drittstaat anerkannt werden, und in Brüssel würde man gerne dieses Instrument nutzen, um künftig alle Flüchtlinge wieder zurückschicken zu können. Doch so weit geht die Liebe noch nicht.
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