Friedensnobelpreis für Kanzlerin Merkel?
Am Freitag wird die prestigeträchtige Auszeichnung vergeben. Was für und gegen Angela Merkel beim Friedensnobelpreis spricht.
Regungslos sitzt er da. Seine Miene wie versteinert. Um ihn herum erheben sich Parteifreunde und politische Gegner. Sie applaudieren. Ganz langsam steht auch Willy Brandt auf. Kein Lächeln, nur ein kurzes Nicken. Bonn im Jahr 1971. Soeben hat Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel die Sitzung des Parlaments für eine historische Nachricht unterbrochen: Der Bundeskanzler bekommt den Friedensnobelpreis.
Kanzlerin ist für Friedensnobelpreis nominiert
Der Sozialdemokrat hatte sich für die Versöhnung mit dem Osten eingesetzt. Heute gilt seine Ostpolitik als Meilenstein auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Damals war sie äußerst umstritten. Sein Kniefall vor den Nazi-Opfern in Warschau brachte Brandt auch heftige Kritik ein. Sogar als Volksverräter wurde er beschimpft. Bis heute ist der SPD-Politiker der letzte Deutsche, der mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Das könnte sich am Freitag ändern.
Wenn es um die Kandidaten für die diesjährige Auszeichnung geht, fällt immer wieder der Name Angela Merkel. Fakt ist: Die Kanzlerin ist nominiert. Das allein heißt allerdings wenig. Denn erstens wurde sie von ihren eigenen Parteifreunden vorgeschlagen und zweitens stehen auf der Liste noch 275 andere Namen. Für Kristian Berg Harpviken gehört Merkel trotzdem zu den Favoriten. Er ist Chef des Osloer Friedensforschungsinstituts Prio und sagt, die Bundeskanzlerin habe in der Flüchtlingskrise „moralische Führungsstärke“ gezeigt. „In einer Situation, die für uns alle in Europa peinlich war, wo jeder die Schuld auf den anderen geschoben hat und niemand die wirklichen Probleme angehen wollte, hat sie genau das gemacht“, findet Harpviken.
Nobelpreis für Merkel zu früh?
Merkels Kritiker sehen das bekanntlich anders. Ihr Kurs in der Flüchtlingsfrage spaltet das Land. Damit gäbe es zumindest eine Parallele zu Willy Brandt. Gegen die Kanzlerin spricht allerdings, dass die Probleme in der Asylpolitik längst nicht gelöst sind und heute nicht abzusehen ist, ob sie ihre offene Haltung gegenüber Flüchtlingen auf Dauer halten kann.
Das erinnert ein bisschen an die Auszeichnung für US-Präsident Barack Obama. Er bekam den Friedensnobelpreis 2009, obwohl er gerade erst ein paar Monate im Amt war – und noch nichts erreicht hatte. Kaum eine Entscheidung wurde so kontrovers diskutiert wie diese.
Wettbüros setzten auf Papst und katholischen Flüchtlingshelfer
Wäre der Nobelpreis auch für Merkel verfrüht? Harpviken lässt das nicht gelten: „Auch wenn man in der Politik an einem Tag als Held und am anderen als absoluter Verlierer dastehen kann: Es ist schwer vorstellbar, dass Merkel nicht als eine deutsche Regierungschefin mit moralischer Integrität und Tatkraft in die Geschichtsbücher eingeht“, sagt der Friedensforscher. Er versucht sich regelmäßig als Orakel, doch bislang gingen seine Prognosen noch nie in Erfüllung. Vielleicht ist die schlechte Trefferquote ja ein gutes Zeichen für einen anderen Deutschen: Helmut Kohl steht Jahr für Jahr auf der Liste.
Die Wettbüros setzen allerdings weder auf den Kanzler der Einheit, noch auf „Kohls Mädchen“. Dort stehen der katholische Flüchtlingshelfer Mussie Zerai aus Eritrea, die kremlkritische Zeitung Nowaja Gaseta und der Papst hoch im Kurs.
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