Für die Evakuierten von Fukushima gibt es kein Zurück
Für die etwa 100.000 Evakuierten aus dem Umland des havarierten japanischen Kernkraftwerks Fukushima gibt es vermutlich kein Zurück. Stattdessen soll eine neue Stadt gebaut werden.
Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan geht davon aus, dass die evakuierten Gebiete für die nächsten 20 Jahre unbewohnbar bleiben. Und es sollen weitere Gemeinden evakuiert werden, was den Menschen sehr viel Angst bereitet. Kenichi Matsumoto, Sonderberater der Regierung, soll laut Nachrichtenagentur Jiji Press über eine Lösung für die vielen heimatlosen Menschen nachgedacht haben. Er habe dem Regierungschef vorgeschlagen, im Nordosten der Präfektur Fukushima, im Inland, eine neue Stadt zu bauen. Sie soll umweltfreundlich sein und nach dem Vorbild deutscher Gartenstädte gebaut werden, sagte Matsumoto.
Denn nun soll auch die Stadt Kawamata evakuiert werden. Sie ist 30 Kilometer von dem Kraftwerk entfernt, 15.000 Menschen leben dort. In einem Monat soll die Stadt evakuiert werden, aus Sorge vor radioaktiven Strahlen. Bürgermeister Michio Furukawa sagte: "Zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit unserer Bürger kommen wir nicht umhin, die geplante Evakuierung zu akzeptieren." Doch die Menschen wollen nicht einfach gehen. Bei einer Versammlung hatte ein Bauer gefragt "Soll das heißen, ich muss mein eigenes Landstück wegwerfen?". "Ohne Garantien für unser Einkommen können wir nicht leben", meint ein anderer. Und wieder ein anderer schimpft: "Wenn wir schon evakuieren müssen, dann will ich, dass erst mal festgelegt wird, welche Gegenden genau betroffen sind."
Der Bürgermeister wird mit Fragen bombardiert, zu denen er und seine Beamten noch gar nichts genaues sagen können. "Auch wir als Stadt fordern von der Regierung Informationen", zeigt der Stadtherr Verständnis für seine verunsicherten Mitbürger.
Internationale Experten fordern schon lange, dass die Evakuierungszone um Fukushima herum wegen der hohen Strahluenbelastung ausgeweitet wird. Doch die Regierung hat bislang nur Seit langem fordern internationale Experten, Japan müsse die Evakuierungszone um das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima Eins wegen der Strahlenbelastung ausweiten. Doch die Regierung in Tokio hatte bislang nur Gebiete im Umkreis von 20 Kilometern um die Atomruine geräumt. Wer zwischen 20 und 30 Kilometern um das AKW herum wohnt, ist lediglich gebeten, sich freiwillig in Sicherheit zu bringen oder im Haus zu bleiben.
Jetzt, nach einem Monat, hat die Regierung fünf Gemeinden oder zumindest Teile davon zu sogenannten "keikakuteki hinanchiiki" erklärt - "geplanten Evakuierungsgebieten". Bislang hatten die Bürger dort vom Staat gehört, sie seien trotz der Strahlung sicher. Doch nun sagte Regierungssprecher Yukio Edano, die Gefahr sei doch zu groß - vor allem langfristig gesehen.
Für die betroffenen Gemeinde-Chefs kam der Regierungsplan, die Bewohner in einem Monat in Sicherheit zu bringen, urplötzlich. "Wir hörten von der Ankündigung im Fernsehen. Sie erfolgte, noch bevor wir unsere Bürger informieren konnten", sagt Satoshi Horikawa von der Stadtverwaltung in Kawamata. "Es gibt derzeit viel Verwirrung unter unseren Bewohnern. Viele Leute sind wütend und fragen uns, was los ist."
Die Regierung denkt zwar darüber nach, jedem Haushalt umgerechnet 10.000 Euro Entschädigung zu zahlen - aber das würde längst nicht reichen, sollten die Menschen auf lange Sicht nicht mehr in ihre Heimat zurückkönnen. "Über all dies haben wir jetzt begonnen, mit der Präfekturverwaltung von Fukushima zu diskutieren. Die werden sich dann mit der Zentralregierung und dem Atombetreiber Tepco beraten", sagt Horikawa. Evakuiert wird bis dahin niemand.
Evakuierte Menschen werden aus Angst vor Strahlen nicht behandelt
Die evakuierten Menschen stehen indes vor einem neuen Problem: Wer aus der Nähe des Atomkraftwerks Fukushima kommt, und in eine Notunterkunft für Tsunami-Opfer möchte, muss nachweisen können, dass er nicht radioaktiv verstrahlt ist. Ohne entsprechende ärztliche Belege kann Derjenige abgewiesen werden. Ein achtjähriges Mädchen sei in einem Krankenhaus in Fukushima nicht behandelt worden, weil es ebenjenen Beweis nicht hatte. "Das war ein Schock", sagte ihr Vater Takayuki Okamura der Zeitung "Mainichi": "Als hätten wir mit unserem neuen Leben als Evakuierte nicht schon genug Sorgen". Ein Mitarbeiter der Stadt Fukushima sagte, die anderen Bewohner sollen sich sicher fühlen. Deswegen würde genau kontrolliert, ob jeder aus der Evakuierungszone den "Unbedenklichkeits-Schein" hätte. dpa/afp
Die Diskussion ist geschlossen.