Guido Westerwelle: Es gibt eben keinen anderen
Wolfgang Kubicki bringt Parteichef Westerwelle mit seiner Abrechnung weiter in Bedrängnis. Doch auch er weiß, dass es in der FDP zurzeit keine personelle Alternative gibt. Von Simon Kaminski
"Opposition ist Mist. Lasst das die anderen machen, wir wollen regieren" - das sagte Franz Müntefering, als er 2004 zum SPD-Chef gewählt wurde. Bis 2009 blieb den Sozialdemokraten dieser "Mist" erspart, dann kam die FDP.
Und wie. Der Parteivorsitzende Guido Westerwelle sah sich nach einem triumphalen Wahlerfolg im September 2009 - die FDP hatte atemberaubende 14,6 Prozent erreicht - am Ziel. Er hatte die Opposition geführt, und zwar erfolgreich, mitunter auch brillant. Nun wollte er regieren, das verriet nicht nur jede Stellungnahme, sondern auch die Körpersprache des Wahlsiegers.
Rekordverdächtige elf Monate später hatte sich das Bild für die Liberalen verdunkelt. Westerwelle, inzwischen Außenminister und Vizekanzler, verpasste nicht nur den so wichtigen Start, sondern fand nie seinen Rhythmus im Spannungsfeld zwischen Außenamt und Parteizentrale. Im August 2009 dümpelte die FDP - wie heute - bei fünf Prozent.
Zu wenig, um die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Mit einem Interview in der Saarbrücker Zeitung sorgte der Saar-Chef der Partei, Rüdiger Linsler, für Aufsehen. Dort erklärte er das Stimmungstief mit dem Umstand, dass die FDP keinem ihrer vollmundig angekündigten Ziele - sei es Steuersenkungen, Rentenreform oder Reform des Gesundheitswesens - nähergekommen sei. Linsler erklärte Westerwelle für überfordert und riet ihm, als Parteivorsitzender zurückzutreten, um sich voll auf den Posten als Außenminister zu konzentrieren. Darauf folgten Solidaritätsadressen für Westerwelle, nicht zuletzt auch von dem schleswig-holsteinischen FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki.
Jenes Nordlicht also, das jetzt im Spiegel die Lage der FDP mit der "späten DDR" vergleicht und den tristen Dreiklang "Verwunderung, Lethargie, Verzweiflung" in der Partei vernimmt. Das wiederum geht Linsler zu weit, der seinerseits die von Kubicki beschworenen "Auflösungserscheinungen" nicht ausmachen will. "Ich stehe nach wie vor zu meinen Aussagen, die ich ganz bewusst schon frühzeitig, vor einem halben Jahr, gemacht habe", sagte Linsler unserer Zeitung. Gleichzeitig kritisiert er Kubicki, dessen "überzogene" Attacke dreieinhalb Monate vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg "zur Unzeit" kommen würde.
Ebenfalls zur Unzeit kam die "Maulwurf-Affäre" um Westerwelles früheren Büroleiter Helmut Metzner ans Licht. In Erinnerung bleibt nicht zuletzt, dass der Parteichef erneut ungeschickt agierte, als er erklärte, er "glaube nicht an solche Geschichten", um dann wieder zurückrudern zu müssen: Metzner hatte in der US-Botschaft ausführlich über die Koalitionsverhandlungen geplaudert und ist inzwischen von seinen Aufgaben in der Parteizentrale entbunden.
Und nun also Kubickis Kassandrarufe. Die Rückendeckung, die Westerwelle nach dem Rundumschlag von vielen Seiten erhält, erklärt der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter nicht zuletzt damit, dass es derzeit keine personellen Alternativen zum Parteichef gebe. "Das ist im Augenblick Westerwelles Stärke. Die großen Talente, die die FDP ohne Zweifel hat, sind noch zu jung. Das weiß auch Kubicki", sagte Falter unserer Zeitung. Der Politologe nennt unter anderem FDP-Generalsekretär Christian Lindner (31 Jahre) oder den 34-jährigen Gesundheitsexperten und FDP-Chef von Nordrhein-Westfalen, Daniel Bahr.
Dennoch hat Falter konkrete Signale wahrgenommen, dass Westerwelle unter Druck gerät: "Es kommen immer öfter FDP-Politiker von sich aus auf mich zu, die dessen Politik beklagen. Doch dann folgt sofort die Bitte, es nicht weiterzuerzählen." Was aber hat Kubicki geritten? "Der Mann ist unabhängig, auch finanziell, und für laute Töne bekannt. Er wollte die Partei wohl vor den anstehenden Landtagswahlen wachrütteln", erklärt Falter.
Allerdings werde der Einfluss Kubickis auf die Bundes-FDP oft überschätzt. Aufgefallen ist dem Parteienforscher, dass kaum jemand von der Riege renommierter Altpolitiker der FDP die Stimme für Westerwelle erhoben habe. Weder sein Vorbild Hans-Dietrich Genscher noch Walter Scheel oder Wolfgang Gerhardt seien ihm zur Seite gesprungen. "Das wäre eine wirkliche Unterstützung gewesen. Es ist eben manchmal interessanter zu beobachten, wer nichts sagt." Simon Kaminski
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