Guten Morgen, Kameraden!
Nach dem Ende der Wehrpflicht zieht die Bundeswehr jetzt Freiwillige ein. Ein Besuch in der Luitpold-Kaserne Dillingen.
Der junge Mann ist einen halben Kopf größer. „Hallo, ich bin neu hier“, meldet er sich neben mir an der Wache, mittags, am Kaserneneingang. Er hat ein Micky-Maus-Tattoo (oder Abziehbild) auf dem Handgelenk und trägt ein wildes Rocker-T-Shirt mit Totenkopf (natürlich). „Freiwilliger?“, frage ich. „Ja. Du auch?“ „Nein, Journalist.“ „Ah! Kriegsreporter“, sagt er und lacht. Und dann ist er schon auf dem Weg hinein in die Kaserne.
„Rechts um! Ohne Tritt, Marsch!“ Am Abend klappt es schon, das Marschieren. „Kopf hoch! Versuchen Sie die Abstände zu Ihrem Vordermann zu halten!“ Die diensthabenden Soldaten, in Tarnfleck, mit akkurat gewienerten Stiefeln, geben kurze Befehle. Der Zug startet über das Kasernengelände. Da in der Aula, in der sie der Oberst gleich begrüßt, die Plätze nicht reichen, haben einige Rekruten – noch in Zivil – Sitzgelegenheiten in der Hand. Der Oberst ist zufrieden. „Guten Abend, Kameraden!“
Die Bundeswehr hat sich vom Grundwehrdienst verabschiedet. Seit 1. Juli beruft die Armee nur Freiwillige ein. Erst war die Sorge groß, dass sie nicht genügend Rekruten findet, am Ende meldeten sich mehr als erhofft. Bundesweit traten 3419 Freiwillige an, davon 139 in der Luitpold-Kaserne Dillingen.
Sie kommen mit Rollkoffern und Trainingstaschen. Es ist heiß, die schwarz-rot-goldene Fahne an der Einfahrt zittert matt, einer hat eine Colaflasche an den Rucksack geklemmt, als er vor dem alten Backsteingebäude des FüUstgBtl 292 – des Führungsunterstützungsbataillons 292 – aus dem Pendelbus steigt. Der Flur im Gebäude ist grau, die Decken hoch, die Blicke unsicher und tastend.
Oberstleutnant Martin Walter ist stellvertretender Bataillonskommandeur und hat heute die Verantwortung für die Rekruten. Welche Persönlichkeiten sie haben, darauf sei er selbst gespannt. „Wir wissen noch nicht viel über die Psychologie der Freiwilligen“, sagt er. „Aber wir freuen uns auf sie.“ Für die Bundeswehr sei es ein Vorteil, dass sie länger bleiben als zuletzt die Grundwehrdienstleistenden mit sechs Monaten. Durch die längere Dienstzeit sei der Einsatzwert für die Bundeswehr erheblich höher. „Und da es Freiwillige sind, bin ich zuversichtlich, dass wir es mit motivierten Soldaten zu tun haben.“ Der 40-jährige Vater zweier Kinder trägt eine randlose Brille und war früher selbst im Auslandseinsatz im Kosovo.
Ein Blick in die Gesichter zeigt: Es sind junge Männer, die hier in einem Zimmer darauf warten, dass die Armee sie registriert. Nach oben gegelte Stachelfrisuren, T-Shirts, Sneakers. „Guten Morgen, Kameraden!“ Die Bundeswehr begrüßt ihre Soldaten kurz, knapp und bündig. „Vor mir steht ...?“, fragt ein Soldat. – „Hammerschlag, Joshua.“ – „Ihr Personalausweis und Einberufungsbescheid?“ – Nervöses Kramen. – Entfernung zum Heimatort? Religion? Schulbildung? Dann geht es um Essenskarten, Bankdaten, die Heimfahrkarte für die Bahn.
Joshua Hammerschlag ist 20 Jahre, hat blaue Augen und stammt aus Saarlouis-Ensdorf im Saarland. Er trägt eine rote Adidas-Jacke mit einer an den Reißverschluss gesteckten Sonnenbrille. 23 Monate möchte er bei der Bundeswehr bleiben und eine Feldwebelkarriere starten. Er erwartet sich „Teamgeist und dass man Disziplin und Ordnung näher gebracht bekommt“. Auch sein Vater, der jetzt Schlosser ist, und sein Onkel waren in der Truppe. Und obwohl es draußen Sommer ist und daheim im Saarland das Freibad und die Abenteuer des Sommers locken würden, ist er stolz, hier zu sein. „Ich habe lange in der Luft gehangen“, sagt er. Er habe keine neue Ausbildungsstelle gefunden, nachdem der Betrieb Insolvenz angemeldet hat, wo er eine Ausbildung zum Koch angefangen hatte.
Im Flur herrscht Hektik. Kurze, schnelle Befehle. Eine Gruppe stürmt im Laufschritt die Treppe hinab. Pro Mann ein Überlebenspäckchen: Verbandszeug, Ohrenstöpsel, Tarnschminke, Hosengummis, Schuhcreme, Grundgesetz. Einer der Ausbilder lässt vor den Stuben antreten. „Funker Vogel?“ „Hier!“ Man ordnet sich ein.
Linoleumboden, grüne Spinde, orange Vorhänge
Mert Cicek, 17, hat pechschwarze Haare und trägt eine moderne schwarze Hornbrille. Gefreut hätten sich seine Eltern in München, dass er zur Bundeswehr dürfe, sagt er. Sein Vater ist Busfahrer, seine Mutter erzieht die kleine Schwester. Die Eltern kamen noch aus der Türkei nach Deutschland und haben hierzulande ihre Ausbildung gemacht. Hier, bei der Bundeswehr, erwartet er, seine Stärken und Schwächen kennenzulernen. Um den Hals hat er eine Kette mit einem Bernstein. Sie sei von seiner Freundin, sagt er.
In der Reihe der Neuankömmlinge steht auch Sebastian Chrysant, 22, aus Bonn. Er ist groß und kräftig. Bis vor Kurzem studierte er an der Universität Geowissenschaften. „Das war mir aber zu langweilig“, sagt er. Bei der Bundeswehr hofft er darauf, viel herumzukommen; es gebe „guten Lohn“ und es sei interessant, mit der Waffe umzugehen, hätten ihm Freunde erzählt.
Die Neuankömmlinge in Dillingen bilden einen guten Schnitt durch alle Bildungsgrade. Es sind – grob dargestellt – zu einem Drittel Abiturienten, zu einem Drittel Absolventen anderer Schulen und zu einem Drittel Arbeitssuchende. Die allermeisten stammen aus Süddeutschland.
Eine Stube steht offen. Linoleumboden, grüne Metallspinde, orange Vorhänge. Betten und Spinde sind mit den Namen der Rekruten beschriftet. Weidlich, El Qaouti, Roscha, Nowotny, Mrusczok ... Robert Mrusczok bezieht gerade sein Bett. Er stopft das Laken mit schnellen Handgriffen unter die Schaumstoffmatratze, die bequemer sein soll, als sie aussieht. Er habe Fachabitur und strebe später eine Offizierslaufbahn an, sagt er. „Man muss etwas im Kopf haben, wenn man hier anfangen will, und man muss die Gefahren abwägen.“
Die meisten Freiwilligen müssen mit Auslandseinsätzen rechnen
Oberstleutnant Walter bestätigt, dass die meisten Freiwilligen mit einem Auslandseinsatz rechnen müssten. Soldaten aus Dillingen seien derzeit in Afghanistan und im Kosovo. Zwar werden nach der dreimonatigen Grundausbildung sehr viele Rekruten an andere Standorte versetzt, aber auch dort hat man meist Soldaten im Ausland. „Wir hoffen aber, dass sich die meisten über das Thema klar sind“, sagt Walter und meint damit auch das Risiko, verletzt oder getötet zu werden.
In seiner Familie sei das Thema Auslandseinsätze angerissen worden, berichtet Joshua Hammerschlag, der Rekrut mit der roten Adidas-Jacke. Viele Soldaten aus dem Saarland seien im Kosovo gewesen. „Einige haben von Horrorszenarien berichtet, zum Beispiel dass vor ihren Augen ein Konvoi explodiert ist.“ Andere fanden, Auslandserfahrung sei nicht verkehrt.
Ortswechsel. Donauwörth, Kleiderkammer. Es dauert dann nicht lange, um aus einem Zivilisten einen Soldaten zu machen. Die Mitarbeiter der Kleiderkammer messen Größe, Brustumfang, Schuhgröße und händigen die Ausstattung aus, die jeder in eine Art Einkaufswagen schichtet. Manchmal gibt es gute Tipps: „Den Helm, den hängen sie einfach vorne an Ihren Wagen.“
Bevor Oberst Peter Michael Baierl am Abend die Soldaten in der Aula begrüßt, könnte man eine Stecknadel fallen hören. Ein kleiner Hauch von 1956 wehe heute durch die Armee, sagt der Oberst dann. Damals seien die ersten Freiwilligen in die neu gegründete Bundeswehr eingerückt. Überhaupt Freiwilligkeit: Er erwartet, dass damit Dinge, die man von Grundwehrdienstleistenden nur mit Druck erreichte, nun leichter von der Hand gehen. Im Gespräch sagt Baierl, dass er zufrieden sei mit der Stärke der Gruppe der Rekruten. Und diese machten zudem einen guten Eindruck. Ob die Bundeswehr langfristig qualifizierten Nachwuchs bekomme, sei offen. „Da muss man abwarten.“
Der Rekrut Joshua Hammerschlag jedenfalls ist stolz, in der Bundeswehr zu sein. Der Beinahe-Koch hat seine erste Brotzeit in der Armee bekommen: Nudeln, Salat, Brot, Wurst. Hart sei er gewesen, der erste Tag. Aber er habe gewusst, dass es kein Zuckerschlecken werde. Seine Personenkennziffer kennt er schon auswendig. Funker Joshua Hammerschlag, 080291-H-42416.
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