Kommentar: Das Vermächtnis eines großen Kanzlers
Ein friedliches, vereintes Europa – und mittendrin ein verlässliches, europäisches Deutschland: Diesem Ziel ist Helmut Kohl immer treu geblieben. Ein Kommentar.
Im Tode erst erfährt Helmut Kohl den uneingeschränkten Respekt auch jener Parteien und politischen Gegner, die zeit seines Lebens kein gutes Haar an dem „Oggersheimer“ gelassen haben. Kein anderer deutscher Politiker ist über einen so langen Zeitraum hinweg so sehr mit Häme, Spott, Geringschätzung bedacht und als engstirniger Provinzling karikiert worden – auch dann noch, als er längst das Vertrauen der Mehrheit der Bürger gewonnen hatte.
Nun, nach dem weltweit bedauerten Tode Kohls, lautet das nahezu einhellige, das gerechte Urteil: ein großer Staatsmann. Freunde und ehemalige erbitterte Gegner Kohls sind sich einig darin, dass dieser Mann „ein Glückfall für uns Deutsche“ (Angela Merkel) gewesen ist. Man wird sich seiner noch erinnern, wenn andere, scheinbar brillantere Staatsmänner längst vergessen sind. Warum? Weil ohne ihn – und das macht nach der berühmten Definition Rankes die historische Größe einzelner Menschen aus – die Dinge anders verlaufen wären und Helmut Kohl maßgeblichen Einfluss auf das Schicksal Deutschlands und Europas genommen hat.
Schmidt war mitreißender, Kohl war bedeutender
Unter den Regierungschefs, die unsere 1949 gegründete Republik bisher hatte, ragen drei unzweifelhaft hervor. Adenauer, der Kanzler des Wiederaufbaus. Brandt, der das Land nach Osten hin öffnete und im Innern kräftig durchlüftete. Kohl, der Kanzler der Einheit und Baumeister Europas. Helmut Schmidt war beredter, telegener, mitreißender als Kohl – ein starker, doch bei weitem nicht so bedeutender Kanzler. Auch Kohl hätte, wie Schmidt, in seinen späten Jahren zum Ratgeber und Patriarchen der Nation werden können. Nicht nur sein Gesundheitszustand und die Familiendramen im Hause Kohl standen dem im Wege.
Nach den Enthüllungen der Parteispendenaffäre, in deren Verlauf Kohl sein „Ehrenwort“ über Recht und Gesetz stellte, war auch das Ansehen des Altkanzlers schwer lädiert. Der nach langen 16 Jahren von Schröder abgelöste Pfälzer erschien nun vielen wieder als jener Machtmensch, der die Gesellschaft mit seinem Freund-Feind-Denken polarisierte und dem Wohl seiner Partei alles andere unterordnete. Erst jetzt, nach dem Tode Kohls und in gehörigem Abstand zum Ende seiner Ära, schärft sich der Blick wieder für jene Leistungen, die Kohls Lebenswerk in den geschichtlichen Rang erheben.
Ja, er war kein Sozial- oder Steuerreformer. Er hat der CDU seinen Willen eisern aufgezwungen. Er hat eine schwarze Kasse geführt. Nur: Die Zeit wird darüber hinweggehen. Was vor der Geschichte wirklich zählt, sind seine Verdienste um die Wiederherstellung der deutschen Einheit und die Einigung Europas. Kohl hat – vom Glück und den Umständen begünstigt – das Kunststück vollbracht, die Deutschen in Frieden und Freiheit zu vereinen und Europa zugleich die Angst vor einem wieder größer gewordenen Deutschland zu nehmen.
Kohl war ein Politiker von historischem Format
Ein vereintes, friedliches Europa und mittendrin ein verlässliches, mit seinen Nachbarn ausgesöhntes, ein nachgerade europäisches Deutschland: Darin liegt Kohls Vermächtnis, das auch künftige Generationen beherzigen müssen. Es ist die wichtigste Lektion, die im Erbe des großen Patrioten und Europäers steckt – mitsamt der Erkenntnis, dass es sich lohnt, unbeirrt und auch bei scharfem Gegenwind große Ziele zu verfolgen.
Kohl hat immer an die Chance der Wiedervereinigung geglaubt und im richtigen Moment zugegriffen. Kohl ist immer seiner Prämisse gefolgt, dass die Einheit Europas von schicksalhafter Bedeutung für uns alle ist. Kohl hatte eine große Linie, der er aus Überzeugung treu geblieben ist. Daran sollte sich verantwortliche Politik gerade heutzutage ein Vorbild nehmen.
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Helmut Kohl hat meinen Respekt. Als Kanzler dieser Republik, die er 16 Jahre geführt hat. Und es muss etwas Besonderes sein, wenn dieser Mann zu Willy Brandt und dieser zu ihm eben nicht in Feindschaft sondern irgendwie später in freundlichem Verstehen verbunden waren.
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Ja, das sagt etwas über Helmut Kohl aus.
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In Rollers Kommentar wird wiederum die Bedeutung auf die Heiligsprechung des Kohl gelegt. Auf seine politische Untadeligkeit, die es gelte, bereits jetzt in Rollers Sinn zu erfassen.
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Das Vermächtnis eines großen Kanzlers.
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Er, der 1998 ganz einfach abgewählt worden war. Das gehört zur geschichtlichen Redlichkeit. D.h. im Klartext: die Wähler waren 1998 mit seiner bis dahin erbrachten Leistung nicht zufrieden. Einer Leistung, die ja bereits im Frühjahr 1989 im Putsch der CDU gegen ihn gemündet war.
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Der Kanzler der deutschen Einheit abgewählt? Wer oder was ist das: der Kanzler der deutschen Einheit? Hat bei dem Begriff die friedliche Revolutuin der DDR-Bürger überhaupt noch einen Platz?Gorbatschow und seine Umwälzungen hatten es möglich gemacht. Kohl hatte den geschichtlichen Auftrag, entstandene Möglichkeiten abzuwägen und zu organisieren.
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Er tat das und ließ sich von Niemandem dreinreden. Innenpolitisch gab es IHN. Und außenpolitisch hatte er eine glückliche Hand, Andere von einem wiedervereinigten Deutschland zu überzeugen oder zumindest Bedenken hinten anstehen zu lassen.
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Das ist seine Leistung. Und dafür hat er meinen vollen Respekt.
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Zu einer geschichtlichen Bewertung des „Gesamtkanzlers“ scheint es mir viel zu früh. Die Alternativlosigkeit seines politischen Handelns, die respektiere ich jedenfalls nicht.
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Der große politisch, europäische Entwurf des Helmut Kohl? Man schaue sich an, was sich da aus den Möglichkeiten einer gemeinsamen EU tatsächlich heraus gebildet hat. Im Fall des Euro ebenso. Brüssel. Die europäische Zentrale war zu lange der Abschiebebahnhof für gescheiterte Politiker und eben nicht der gesamtpolitische Ansatzpunkt für das gemeinsame und solidarische Europa. Auch das ist sein Erbe.
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Der Große Kanzler in seiner bräsigen Aussitzmanier. Bleierne Jahre der politischen Alternativlosigkeit nun als alternativlos in den Sockel seines Vermächtnisses gedanklich einzementieren? Die Sinnhaftigkeit einer solchen Heiligsprechung erkenne ich nicht.
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Was dann als Erbe seiner politischen Zeit mit betrachtet werden muss: Der Vergleich von Anspruch und Wirklichkeit. Und den hat der Wähler bereits 1998 beantwortet. Kohl hat dieses Land zu seinem Schaden ausgebeutet.
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Erst sein Nachfolger hat damals die entglittenen Zügel wieder in die Hand genommen. Allerdings hat Gerhard Schröder mit seinen so furchtbar einseitigen politischen Einschnitten als Kanzler der Bosse dieses Land in eine Schieflage gebracht.
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Machtmensch Helmut Kohl. Ja, das war er. Er, der Organisator der deutschen Einheit. Das war die ihm zugewiesen Rolle als damaliger Kanzler der Republik. Und JA: vielleicht wären bei einer anderen Kanzlerschaft damals die „Dinge anders verlaufen“. Alternative Möglichkeiten lasse ich offen.
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Das Ziel eines vereinten, friedlichen Europa inclusive eines mit seinen Nachbarn ausgesöhnten Deutschland, das ist längst nicht realisiert. Das Konstrukt EU stand mehrfach kurz vor dem scheitern. Solidarität, das Wort beschreibt längst einen nicht mehr gewollten Zustand.
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Kohls Traum von der Einheit Europas. Es gilt noch, ihn zu verwirklichen.