Kretschmann überrumpelt die Grünen
Eigentlich wollten die Grünen geschlossen im Bundesrat den Asyl-Gesetzentwurf der Großen Koalition zu Fall bringen. Warum sich ausgerechnet Winfried Kretschmann nicht daran hielt.
Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, steht am Freitag am Rednerpult des Bundesrates und muss sich rechtfertigen. Warum stimmt er gegen den Widerstand seiner eigenen Partei für die Änderung des Asylrechts? Warum bricht er in einem Alleingang aus dem Block der grün-regierten Länder aus und verhilft somit der Großen Koalition im Bund zu einem Sieg? Und warum setzt er nicht darauf, in einem Vermittlungsverfahren der Regierung Merkel noch mehr Zugeständnisse abzutrotzen?
Kretschmann: "Lage der Flüchtlinge wird sich deutlich verbessern"
Winfried Kretschmann redet nicht lange um den heißen Brei herum. Es habe sich um einen „schwierigen Abwägungsprozess“ gehandelt, gibt er zu, „auch für mich persönlich“. Viele Gespräche habe er geführt. Am Ende sei er aber zu dem Schluss gekommen, dass es für Baden-Württemberg keinen Grund mehr gebe, Nein zu sagen. Nach „langen und harten Verhandlungen“ sei es gelungen, „substanzielle Verbesserungen“ zu erreichen. Die Lage der Flüchtlinge werde sich deutlich bessern, zudem würden die Kommunen finanziell entlastet. Und darauf komme es an.
Groß ist dagegen die Enttäuschung bei den Grünen . „Der Bundesrat hat heute eine falsche Entscheidung getroffen“, sagt Parteichefin Simone Peter, ohne Kretschmann beim Namen zu nennen. Der Kompromiss löse keines der Probleme der Flüchtlingspolitik, „sondern beschneidet das Grundrecht auf Asyl“. Deshalb hätten sechs der sieben Länder, in denen die Grünen mitregieren, „gut daran getan, dem Gesetz der Bundesregierung ihre Zustimmung zu verweigern“. Noch deutlicher wird der innenpolitische Sprecher, Volker Beck. „Heute wurde das Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei ver-dealt“, tobt er.
Kretschmann hielt die Zugeständnisse für ausreichend
Bis spät in die Nacht hatte der Parteirat der Grünen in der Landesvertretung Baden-Württemberg verhandelt und sich am Ende dagegen ausgesprochen, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu „sicheren Herkunftsländern“ zu erklären. „Das von SPD und Union beschlossene Gesetz allein ist eine Beschneidung der Rechtsstellung von Asylbewerbern und birgt die Gefahr einer weiteren Stigmatisierung von Flüchtlingen aus den Staaten des westlichen Balkans, insbesondere der Roma, die dort systematischer Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt sind“, hieß es in dem Beschluss des Parteirats. Kretschmann hingegen machte deutlich, dass er die Zugeständnisse für ausreichend empfinde und zustimmen wolle, notfalls auch alleine.
Dem Parteirat trotzte er einen Passus ab, der seinen Alleingang quasi absegnete: „Unabhängig von dieser Position respektieren wir, wenn grün-mitregierte Länder in ihren Kabinetten zu einer anderen Abwägung kommen sollten.“
Residenzpflicht und Beschäftigungsverbot werden aufgeweicht
Um die Zustimmung des Bundesrats zu erreichen, kam die Bundesregierung den Ländern entgegen und ging auf zahlreiche Forderungen der Grünen ein. Im Einzelnen sieht der Kompromiss folgende Punkte vor: Die Residenzpflicht wird aufgeweicht. Nach drei Monaten Aufenthalt dürfen sich die Asylbewerber im gesamten Bundesgebiet frei bewegen. Ebenso können Asylbewerber künftig leichter eine Arbeit aufnehmen. Das absolute Beschäftigungsverbot wird von derzeit neun auf drei Monate abgesenkt, zudem entfällt die Vorrangprüfung nach einem 15-monatigen Aufenthalt.
Beim umstrittenen Asylbewerberleistungsgesetz wird das Sachleistungsprinzip auf die Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung beschränkt. Danach sollen die Asylbewerber Geld erhalten, um individuell die Waren ihres Bedarfs nach ihren Wünschen und Bedürfnissen kaufen zu können.
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