Lage am Eurotunnel spitzt sich weiter zu
Tausende Flüchtlinge versuchen, über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu gelangen. Die Regierungen in Paris und London und Eurotunnel sind überfordert mit der Lage.
Bei gutem Wetter kann man den Sehnsuchtsort vom Hafen von Calais aus schon sehen. Dann tauchen die Klippen von Dover am Horizont auf und das Land, das ein besseres Leben versprechen soll: Großbritannien. Keine 40 Kilometer misst hier der Abstand zwischen beiden Küsten, die der Ärmelkanal trennt.
Für tausende Flüchtlinge handelt es sich um eine der letzten Etappen einer langen, oft entbehrungsreichen Reise. Aber eine, die schwer zu überwinden ist: Zäune, Absperrgitter und hunderte Ordnungskräfte sollen sie von ihrem Ziel abwehren, das doch schon in Sichtweite ist. Weil immer mehr Menschen in Calais illegal den Eurotunnel überqueren wollen, spitzt sich die Lage in der nordfranzösischen Hafenstadt zu.
Dem Eisenbahntunnel-Betreiber Eurotunnel zufolge wurden seit Jahresbeginn 37.000 Personen gestoppt. Täglich sind es bis zu 1900, die auch vor riskanten Manövern nicht zurückschrecken, auf wartende Lastwagen oder fahrende Züge klettern. Diese Woche wurde dabei ein junger Mann aus dem Sudan überfahren. Er ist das neunte Todesopfer seit Juni. Manchmal drängen sich die Flüchtlinge in großen Gruppen in den Tunnel. So blockierten mehr als 100 in der Nacht auf Donnerstag einen der Ausgänge.
Während Eurotunnel-Chef Jacques Gounon das systematische Eindringen beklagt und von der britischen und der französischen Regierung eine Entschädigung in Höhe von 9,7 Millionen Euro für den erhöhten Schutz-Aufwand fordert, erwidert Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve, Eurotunnel müsse durchaus Verantwortung übernehmen.
Die Regierung suche aber den Dialog um die Absicherung des Geländes zu verstärken und schickte 120 zusätzliche Polizisten. Französische Medien zitieren einen Polizisten, der anonym bleiben will und bedauert, dass Politik aus der Not heraus gemacht werde: Seit Monaten bitte man dringend um Verstärkung. Die Stadt ächzt längst unter der Belastung, fordert ihrerseits Unterstützung des Staates in Höhe von 50 Millionen Euro.
Zwar nutzen Flüchtlinge sie schon seit vielen Jahren als Durchgangsstation auf dem Weg nach Großbritannien. Doch seit gut einem Jahr kommen immer mehr. Um die 4000 sollen es sein - mindestens. Calais ist der Spiegel von Konflikten und Krisen, die bestimmte Regionen der Welt zerreißen , sagt Innenminister Cazeneuve.So stammen die meisten aus Eritrea, Afghanistan, Syrien und dem Sudan.
In Calais hausen sie in wilden Lagern abseits vom Zentrum. Manche Einwohner lehnen sie ab, während die Mitglieder von Hilfsorganisationen versuchen, sie mit dem Mindesten zu versorgen. Erst nach langem Hin und Her hat der Staat im Frühjahr ein Aufnahmezentrum mit sanitären Einrichtungen aufgebaut, das zumindest tagsüber öffnet. Doch es scheint der großen Nachfrage nicht gewachsen zu sein.
Einen Antrag auf Asyl stellen die wenigsten der Flüchtlinge - wer bis hierher vordringt, will den Sprung nach Großbritannien schaffen. Viele wählen die Insel, weil sie Englisch sprechen, dort keine Ausweispflicht und geringere Arbeitslosigkeit als in Frankreich herrscht. Oft leben bereits Freunde oder Familie im Königreich, die helfen können.
Dem Ruf als Eldorado will Premierminister David Cameron aber entgegentreten, der hartes Durchgreifen gegen illegale Migranten ankündigte. Umgerechnet fast zehn Millionen Euro will die Regierung in Westminster zur Verfügung stellen, um die Sicherheitsvorkehrungen auf französischer Seite zu verstärken. Auch ein Zaun wird ausgebaut, um den Sehnsuchtsort etwas schwerer erreichbar zu machen.
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