Linke an die Macht – ist Thüringen nur der Anfang?
Was für ein Tabubruch. Die SPD will einen Linken zum Ministerpräsidenten machen. Ist das künftig normal? Oder ein riskantes Experiment, das allen Beteiligten mehr schadet als nutzt?
Was nützt der schönste Wahlsieg, wenn man nicht in der Lage ist, ihn in eine parlamentarische Mehrheit umzusetzen? Die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat die Landtagswahlen am 14. September klar gewonnen. Die CDU wurde mit weitem Abstand stärkste Kraft. Und doch steht die Regierungschefin mit leeren Händen da.
Alles spricht dafür, dass sie Anfang Dezember ihr Amt an Bodo Ramelow von der Linkspartei verliert. Die Tür für ein rot-rot-grünes Bündnis steht weit offen, Ramelow kann als erster linker Ministerpräsident Geschichte schreiben.
Bodo Ramelow wird voraussichtlich Thüringer Ministerpräsident
25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Untergang des abgewirtschafteten SED-Regimes ist dies ein Tabubruch, ohne Frage. Dass die politischen Nachfolger jener Partei, die Mauer und Stacheldraht, Stasi-Verfolgung und Todesschüsse an der Mauer zu verantworten hat, wieder an den Schalthebeln der Macht sitzen, nicht nur als Juniorpartner, sondern erstmals in der Staatskanzlei, ist für viele Opfer des SED-Regimes nur schwer erträglich.
Auch und gerade für Sozialdemokraten, die einst in der DDR verfolgt wurden und im Wendeherbst 1989 ihre Partei in Opposition zur SED gründeten. Dennoch ist der Wunsch der SPD, sich aus der babylonischen Gefangenschaft mit der CDU zu befreien und aus der rechnerischen linken Mehrheit auch eine politische zu machen, größer als die Abneigung gegen die SED-Nachfolger.
Ein Rot-Rot-Grünes Bündnis ist in Thüringen sehr wahrscheinlich
Und doch ist die Situation in Thüringen kein Modell für andere Länder, sondern ein regionaler Sonderfall – einzigartig im Osten und erst recht nicht auf die Bundesebene übertragbar. Im Erfurter Landtag geht es um Lehrer und Polizisten, nicht um die Euro-Rettung oder Auslandseinsätze der Bundeswehr. In der Bundespolitik liegen zwischen der SPD und der Linkspartei noch immer Welten, sie haben sich im Ukraine-Konflikt sogar vertieft. Rot-Rot-Grün in Erfurt ist dagegen Folge der sehr speziellen „Thüringer Verhältnisse“. Da ist zum einen eine CDU, die nach 24 Jahren an der Macht personell wie programmatisch ausgelaugt ist und diverse Skandale im Freistaat zu verantworten hat. Angefangen bei den unzumutbaren Verhältnissen beim Verfassungsschutz bis zu dubiosen Personalentscheidungen in der Staatskanzlei.
Spezielle Umstände in Thüringen kamen der Linkspartei zugute
Und da ist eine Linkspartei, die von Bodo Ramelow, einem „Wessi“ ohne SED-Vergangenheit, gnadenlos auf Regierungskurs getrimmt wurde. Eine Partei, pragmatisch bis ins Mark, die etliche Bürgermeister und Landräte stellt und nun auch im Land regieren will. Das unterscheidet Ramelow von den Linken in der Linken, die sich in der Fundamentalopposition eingemauert haben und sich einer konstruktiven Politik verweigern.
Dazwischen eine SPD, die nicht weiß, was sie will, die sich vor fünf Jahren nur widerwillig zum Bündnis mit der CDU entschloss, obwohl es schon damals eine linke Mehrheit gegeben hätte, und die zwischen Union und Linkspartei aufgerieben wurde. Gerade noch stark genug, um Zünglein an der Waage zu sein, aber viel zu schwach, um gestalten zu können.
Gemeinsam wollen Linke, Sozialdemokraten und Grüne eine Regierung bilden. Weil es rechnerisch reicht und sich die drei Partner einig sind, nach 24 Jahren CDU-Herrschaft einen politischen Neuanfang zu wagen. Das Risiko, das sie dabei eingehen, ist allerdings hoch. Die hauchdünne Mehrheit von nur einer Stimme im Parlament lässt jede Abstimmung zur Zitterpartie werden. Ramelow wiederum dürfte von seinen eigenen Parteifreunden, die jeden Kompromiss als Verrat ablehnen, argwöhnisch beäugt werden. Und die SPD könnte sich in Thüringen endgültig ins Abseits manövrieren, da ein Teil der Basis den Kurs nicht mitträgt.
So ist Rot-Rot-Grün in Erfurt beides – ein Stück Normalisierung in der Politik, aber auch ein riskantes Experiment mit ungewissem Ausgang, das allen Beteiligten am Ende mehr schadet als nutzt. Als Modell ist es völlig unbrauchbar. An den schwierigen „Thüringer Verhältnissen“ wird sich so schnell nichts ändern.
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