Luftangriffe gegen Kurden: Was hat die Türkei wirklich im Sinn?
Türkische Kampfjets bombardieren nicht nur IS-Terroristen, sondern auch kurdische Stellungen. Dass die Regierung gerade jetzt den alten Konflikt neu entfacht, ist rätselhaft.
Lange hatte sich die Türkei aus dem Kampf gegen die Terroristen des Islamischen Staates herausgehalten. Zu lange, wenn es nach den westlichen Partnern geht. Dann nehmen türkische Kampfjets die Stellungen der Islamisten geradezu unter Dauerbeschuss. Doch auch diese plötzliche Kehrtwende stößt auf Skepsis. Das liegt vor allem daran, dass die Türkei nicht nur den IS angreift, sondern auch mit großer Härte gegen Kurden vorgeht. Über die Motive der Regierung und des mächtigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wird heftig spekuliert.
Am Sonntag forderte Ankara eine Nato-Sondersitzung. Man wolle aufgrund der Angriffe auf die nationale Sicherheit und der Bedrohungen das weitere Vorgehen mit den Verbündeten beraten, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums des Nato-Staates.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen lobt die Türkei
Wie dünn das diplomatische Eis ist, musste am Wochenende die Bundesverteidigungsministerin erleben. Am Samstag lobt Ursula von der Leyen die militärische Beteiligung der Türkei am Kampf gegen die Islamisten. Kein Wort zu den Schlägen gegen die Kurden. Erst als es aus den Reihen der Opposition Kritik hagelt, meldet sich die CDU-Politikerin ein zweites Mal zu Wort. Die Türkei dürfe „den eingeschlagenen Pfad der Versöhnung mit der kurdischen Arbeiterpartei nicht verlassen“, sagt sie. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnt in einem Telefonat mit ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu, „den Friedensprozess mit den Kurden nicht aufzugeben, sondern trotz aller Schwierigkeiten an ihm festzuhalten“.
Doch daran scheint Ankara momentan wenig Interesse zu haben. Dementsprechend explosiv ist die Lage im Land. Die Polizei geht am Samstag mit Wasserwerfern und Tränengas gegen hunderte Menschen vor, die in Ankara gegen den IS demonstrieren. Und die kurdischen PKK-Rebellen erklären den seit 2013 geltenden Waffenstillstand für bedeutungslos. Zuvor hatten türkische Kampfflugzeuge nicht nur PKK-Stellungen im Nordirak angegriffen, sondern auch massenhaft Kurden unter dem Verdacht festgenommen, sie würden terroristische Organisationen unterstützen.
Die türkische Luftwaffe beschießt auch die PKK
Seit Freitag beschoss die türkische Luftwaffe in rund 160 Einsätzen etwa 400 Ziele des IS – und der PKK. Ankara reagiert damit auf den mutmaßlich vom IS verübten Anschlag von Suruc mit mindestens 30 Toten sowie auf Racheakte der PKK. Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei geben dem türkischen Staat eine Mitverantwortung für das Massaker und töten deshalb mindestens vier Polizisten und Soldaten. Die Zeitung Takvim meldet, die Staatsspitze sei entschlossen, den Kampf gegen Gruppen wie IS und PKK „bis zum Ende“ fortzusetzen.
Bleibt die Frage: Warum der Kurswechsel? Und warum ausgerechnet jetzt? Was hat die Türkei wirklich im Sinn? Kritiker von Präsident Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu vermuten, dass es nicht nur um die Verteidigung des Landes geht. Ihrer Meinung nach kämpft die türkische Führung auch gegen einen innenpolitischen Gegner. Die Regierungspartei AKP spekuliert angeblich auf vorgezogene Neuwahlen, falls die reichlich verfahrene Suche nach einer neuen Koalition erfolglos bleibt. Die Opposition sagt, Erdogan wolle nach der Wahlschlappe für die AKP im Juni eine neue Abstimmung erzwingen.
Erdogan und Davutoglu sind nicht Beruhigung aus
Der Chef der Kurdenpartei HDP, die bei der Wahl überraschend viele Stimmen bekommen hatte, wirft der Regierung vor, alle Aktionen der letzten Tage dienten dem Zweck, Neuwahlen zu erzwingen. Instabilität und Krieg, so lautet demnach die Überlegung der AKP, erschrecken die Wähler – und die könnten bei Neuwahlen massenweise zur AKP zurückkehren. Umgekehrt würde neue Gewalt im Kurdengebiet der HDP schaden.
Ob diese Taktik aufgehen würde, ist fraglich – aktuelle Umfragen sagen der AKP schon die nächste Niederlage voraus. Dass Erdogan und Davutoglu nicht auf eine Beruhigung der Lage aus sind, demonstrieren sie mit den ersten Luftangriffen auf PKK-Stellungen seit Jahren. Dass Ankara mit Kampfjets auf die Ermordung der Polizisten und Soldaten reagiert, zeigt, wie sehr die Regierung auf Krawall gebürstet ist. Im Hintergrund schwingt immer die Befürchtung mit, die Kurden könnten im Schatten des Kampfes gegen den IS die Gründung eines eigenen Staates vor der türkischen Haustür vorantreiben. Einige Kurdenpolitiker rufen zur Besonnenheit auf. Gleichzeitig bekennt sich die PKK zu den Morden an Vertretern des türkischen Staates.
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