Martin Selmayr: "Europa ist durch Krisen geeint"
Martin Selmayr, Generalsekretär der Europäischen Kommission, kann selbst Krisen wie dem Brexit oder der Krim-Annexion etwas Gutes abgewinnen.
Herr Selmayr, Großbritannien steht vor dem Brexit, Italien riskiert mit einem Schuldenhaushalt eine Eurokrise. Wie steht es um die Zukunft der Europäischen Union?
Martin Selmayr: Sie haben recht, dass es hier zwei Krisenpunkte gibt. Aber in beiden Krisen gibt es auch etwas Positives. In der Brexit-Frage sind sich die Europäer doch einig. Alle haben gemerkt, dieser Austritt aus der Europäischen Union, den die Populisten als großen Erfolg angepriesen haben, der funktioniert nicht. Die anderen 27 Staaten sind geeint: Sie haben hart verhandelt und ihre Ziele durchgesetzt. Der Brexit, der nach wie vor ein trauriges Ereignis ist, hat dazu geführt, dass Europa insgesamt wieder stärker geworden ist. Die italienische Frage ist eine Auseinandersetzung, die wir in den letzten Jahren immer wieder erlebt haben. Es gibt kein Land in der Europäischen Union, das die in Maastricht vereinbarten Stabilitätsregeln zu 100 Prozent beachtet hat. Deutschland schafft es möglicherweise jetzt zum ersten Mal wieder seit 2011, die Maastricht-Regeln zu beachten.
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine droht zu eskalieren. Wie sollte die EU mit Putin umgehen: Sanktionen oder Diplomatie?
Selmayr: Wir brauchen beides. Die EU ist auch in dieser Frage bisher relativ stark gewesen, weil wir vereint waren und die Sanktionen, die wir nach der Annexion der Krim gegenüber Russland verhängt haben, immer wieder verlängerten. Augenblicklich eskaliert die Situation durch die Vorfälle im Schwarzen Meer aber weiter. Die EU muss hier einen kühlen Kopf bewahren. Europa ist immer der Kontinent der Diplomatie gewesen, und wir wollen stets Frieden schaffen durch Gespräche, deshalb werden wir weiterhin mit Putin sprechen.
Innenminister Horst Seehofer hat gesagt, dass es bis 2025 dauert, bis die EU-Grenzschutzgruppe eine Stärke von 10.000 Beamten erreicht hat.
Selmayr: Die Europäische Kommission hat gezeigt, dass wir das bis 2020 schaffen können. Ich hoffe, dass all diejenigen, die in den letzten Jahren gesagt haben, Europa schützt seine Grenzen nicht, jetzt so mutig sind und sagen, 10.000 Grenzschützer können wir doch in zwei Jahren schaffen. Die Außengrenzen der EU sind immerhin so groß wie die der USA – da stehen 100.000 Grenzschützer. Und wir schaffen es nicht, 10.000 hinzustellen? Wenn die Europäische Kommission so was vorschlägt, wäre es doch schön, wenn man sagen könnte: „Packen wir es an und setzen es um.“
Sie sind ein Weggefährte von Jean-Claude Juncker. Freuen Sie sich schon auf den EU-Kommissionspräsidenten Manfred Weber?
Selmayr: Ich bin ein Juncker-Mann und werde es auch immer sein. Ich finde es aber sehr gut, dass Manfred Weber kandidiert. Es ist gut, dass es viele Spitzenkandidaten gibt. Wir brauchen ein Europa mit Gesichtern. Wir brauchen ein Europa von Politikern, nicht von Beamten. Deshalb ist es wichtig, dass viele in den Wahlkampf gehen und die nächsten sechs Monate nutzen, um vor Ort eine konstruktive Debatte über Europa zu führen. Und warum soll der Präsident nicht mal ein Niederbayer sein.
Zur Person: Martin Selmayr, 48, ist seit März Generalsekretär der Europäischen Kommission. Dieses Interview erschien zuerst in der Passauer Neuen Presse.
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