May schaltet gegen Europa auf Angriff
Nachdem die Presse in Großbritannien den Gipfel in Österreich bereits als „Salzburg-Desaster“ kritisiert, droht die Premierministerin der Europäischen Union bei einem kämpferischen Auftritt mit einem EU-Ausstieg ohne Abkommen
London Als die britische Machtzentrale in Downing Street für den Nachmittag ein Statement von Premierministerin Theresa May ankündigte, ging in Westminster bereits die Sorge um, sie könnte eine Neuwahl ausrufen. Zu selten finden solch kurzfristig anberaumten Ansprachen der Regierungschefin statt, zu blank liegen die Nerven im Politbetrieb. Was sie gestern dann jedoch zu sagen hatte, glich einer Kampfansage in Richtung Brüssel nach dem informellen EU-Gipfel, den Medien wie Politiker bereits auf „Salzburg-Desaster“ getauft hatten.
Den Plan der britischen Regierung für die künftigen Handelsbeziehungen nach dem Brexit abzulehnen, ohne Alternativen zu offerieren, sei „inakzeptabel“, sagte May ungewöhnlich scharf und kickte den Ball zurück ins Feld der Gemeinschaft, indem sie „eine genaue Erklärung und Gegenvorschläge“ forderte.
Ihre Warnung lautete übersetzt: Entweder die EU gibt nach oder die Briten gehen ohne Abkommen. Anders als am Tag zuvor in Salzburg, wo die Premierministerin sichtlich angezählt und verkniffen vor die Presse trat, wirkte sie gestern aufgeräumt und selbstbewusst. Sie zielte mit ihrem Gegenangriff nicht nur gen Brüssel, sondern auch in Richtung ihrer Landsleute, die sie von ihrer Brexit-Strategie zu überzeugen versucht, sowie ihrer Kritiker, die in großer Zahl innerhalb der eigenen konservativen Partei sitzen. Sie werde weder das Ergebnis des Referendums rückgängig machen noch ihr Land auseinanderbrechen lassen, betonte May energisch. Darauf aber liefen die Vorschläge der EU hinaus. Die Verhandlungen befänden sich wegen Brüssel „in einer Sackgasse“. Immerhin, das zweitägige Treffen in Österreich hatte einen entrüsteten Aufschrei nach sich gezogen, wie er so laut lange nicht mehr auf der Insel zu hören war. „Europäische dreckige Ratten“ („EU dirty rats“), titelte am Freitag etwa die konservative Boulevardzeitung The Sun und druckte eine Fotomontage von zwei Mafia-Gangstern mit Maschinengewehren, die den französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie EU-Ratschef Donald Tusk zeigen sollten. „Euro-Gangster überfallen May aus dem Hinterhalt“, hieß es dazu. Der linksliberale Guardian wie auch The Times schrieben von einer „Demütigung“ für die Regierungschefin, nachdem Tusk dem sogenannten Chequers-Vorschlag eine klare Absage erteilt hatte, da dieser den gemeinsamen Binnenmarkt untergraben würde. „Er wird nicht funktionieren“, sagte Tusk.
Dass der Pole die Premierministerin dann noch ohne diplomatisches Feingefühl mit einem „geschmacklosen Foto“ auf Instagram verspottete und damit auf das permanente Rosinenpicken der Briten anspielte, kam – vorsichtig formuliert – alles andere als gut an im Königreich. „Ich habe die EU immer nur mit Respekt behandelt“, sagte May gestern und blickte dann eindringlich in die Kamera. „Das Königreich erwartet dasselbe.“ Ein Gruß an Tusk.
Die Brexit-Hardliner fühlen sich nach dem Gipfel genauso bestätigt wie die Europa-Freunde, unter denen ebenfalls viele den von May nach parteiinternen Streitereien vorgelegten Plan ablehnen. Die Regierungschefin wollte mit ihrer harten Gangart in Salzburg Stärke demonstrieren, doch die Verhandlungstaktik ging nicht auf. Die Europäer reagierten verärgert auf das konfrontative Auftreten und Mays aggressiven Ton während des Abendessens am Mittwoch.
May steht eine gute Woche vor dem Start des konservativen Parteitags unter Druck. Ihr Sturz durch die Brexit-Hardliner ist nicht ausgeschlossen. Und die Sorge unter den proeuropäischen Kräften wächst, dass Großbritannien ohne Austrittsabkommen aus der EU krachen und auf ein Chaos zusteuern könnte.
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