Mehr Geld für die Nato – Irrweg oder Chance?
Die USA wollen die Europäer zwingen, mehr Geld in die Verteidigung zu stecken. Die EU hat jedoch auch viel dazu beigetragen, dass sie jetzt erpressbar ist.
Schmerz und Leidensdruck sind Empfindungen, die gemeinhin nicht unter der Rubrik angenehme Gefühle auftauchen. In vielen europäischen Hauptstädten sitzt der Schreck darüber tief, dass die neue US-Regierung fast schon ultimativ fordert, dass die Nato-Mitglieder deutlich mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Doch von diesem unsanften Rempler könnte Europa auch profitieren: „Die USA haben durch ihre Forderung nun den Schmerz erhöht. Europa muss diesen Schmerz in eine positive Reaktion umwandeln“, sagte der deutsche Experte für Sicherheitspolitik, Christian Mölling, im Gespräch mit unserer Zeitung.
US-Präsident Donald Trump pocht auf eine Vereinbarung, die 2014 auf dem Nato-Gipfel in Wales festgeschrieben wurde: Darin verpflichteten sich die 28 Nato-Mitglieder, sich bis 2024 auf das Ziel, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, „zuzubewegen“. Weil das aber aus Sicht Washingtons noch nicht konkret genug klingt, verlangt die US-Regierung von den Europäern, dass sie bis Ende des Jahres einen detaillierten Plan vorlegen, wie die zwei Prozent erreicht werden sollen.
Mölling, stellvertretender Direktors des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), ist sich sicher, dass es den USA damit absolut ernst ist: „Sollte Trump den Eindruck gewinnen, dass die europäischen Nato-Staaten sich aus der Sache herausmogeln wollen, wird es harte Antworten aus Washington geben.“ Schließlich hat der neue Präsident das Bild des Europäers gezeichnet, der sich, in der Hängematte liegend, darauf verlässt, dass die USA ihm militärisch zur Hilfe kommen, wenn es brennt.
Viele Staaten in Europa haben ihre Militärausgaben zurückgefahren
Mölling glaubt, dass Trump mit „Truppenrückzügen sowie drastischen Budgetstreichungen“ reagieren könnte, falls Europa nicht umschwenkt. Denkbar sei auch, dass die USA zweistaatliche militärische Abkommen mit Staaten wie Polen anstreben, die das Zwei-Prozent-Ziel erreichen. Mölling: „Das alles wäre für Europa sehr gefährlich.“ Russland hingegen hätte an dem Bild einer zerstrittenen Nato seine helle Freude.
Europa hat viel dazu beigetragen, dass es jetzt erpressbar ist. Nach dem Zerfall des Warschauer Pakts schrumpften die Verteidigungshaushalte, wurden die Streitkräfte – nicht zuletzt auch in Deutschland – extrem reduziert. Das alles geschah, wie es schlechte Tradition ist, gänzlich ohne gegenseitige Absprache. Die Krisen in Ex-Jugoslawien, Afghanistan und in anderen Regionen der Welt führten der Weltöffentlichkeit vor Augen, dass Europas militärische Abhängigkeit von den USA weiter gewachsen war. Das soll sich ändern. Doch während die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sich hinter das Zwei-Prozent-Ziel stellt, hält Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Umsetzung für kaum realistisch.
Mölling hingegen warnt davor, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen: „Das Zwei-Prozent-Ziel ist fragwürdig. Einfach nur den Input zu erhöhen, ohne sich um den Output zu scheren, das wäre hirnrissig. Es muss letztlich gelingen, die Kampfkraft zu erhöhen.“ Doch das ist gar nicht so einfach. „Sinnvoll wäre es, sich konkrete Ziele zu setze. Eine 80-prozentige Einsatzbereitschaft der Soldaten zum Beispiel oder dass 70 Prozent der Waffensysteme auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Davon ist die Truppe weit entfernt.“
Die Bundeswehr kämpft mit vielen Schwierigkeiten bei der Ausrüstung
Die Pannen bei der Beschaffung von Waffensystemen sind berüchtigt. Was endlich angeschafft ist, funktioniert oft nur unzureichend, wie die geringe Einsatzfähigkeit von Hubschraubern, Kampfjets oder beim Transportflugzeug A400M zeigt. Die Lösung dieser Probleme ist nur langfristig erreichbar, Projektentwicklungen laufen über Jahrzehnte. Wer jetzt einfach Geld in den Verteidigungshaushalt pumpt, würde lediglich erreichen, dass das Budget künstlich aufgebläht wird, ohne dass sich die Effektivität der Streitkräfte erhöht. Schon jetzt hat die Verwaltung Mühe, für das bereits gestiegene Budget (siehe Info-Kasten) sinnvolle Projekte zu finden. Unstrittig unter Experten ist zudem, dass die EU-Staaten ihre Verteidigung endlich besser aufeinander abstimmen müssen. „Nur so kann Europa unabhängiger von den USA werden“, sagt auch Mölling.
Ein zweites großes Problem ist die Suche nach geeignetem Personal. Mölling: „Die Bundeswehr braucht nicht zuletzt versierte Experten, um beispielsweise gegen Cyber-Angriffe gerüstet zu sein. Solche Leute bekommt man aber nur, wenn man sie gut bezahlt.“ Dazu allerdings müssten diese speziellen Jobs von den Vorgaben der Bezahlung für staatlich Angestellte befreit werden – eine Ausgliederung wäre politisch jedoch brisant.
Vor diesem Hintergrund hört man in den letzten Monaten wieder häufiger Forderungen, die ausgesetzte Wehrpflicht wiederzubeleben. Für Christian Mölling ein Griff in die Mottenkiste: „Die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde nicht ein Problem der Bundeswehr lösen. Das wäre eine bloße Romantiknummer. Wir brauchen Spezialisten statt Infanteristen.“
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