Muammar al-Gaddafi: Die vielen Gesichter eines Despoten
Muammar al-Gaddafi nennt sich Revolutionsführer. Er umgarnte den Westen und der umgarnte ihn – auch als er schon ein Diktator war
Er präsentiert sich bis zuletzt als Beduine mit arabischem Ehrenkodex. „Ich werde am Ende als Märtyrer sterben. Ich werde bis zum letzten Blutstropfen kämpfen“, sagte Muammar al-Gaddafi im Februar, als das Volk gegen sein Regime zu rebellieren begann. Jetzt sitzt er isoliert vermutlich im Gebäudekomplex Bab al-Azizya („Edles Tor“) in Tripolis, umstellt von Revolutionstruppen und verteidigt von letzten Getreuen. Sein ehemaliger Freund Abdessalam Jalloud, früherer Ministerpräsident Libyens, der jetzt nach Italien geflohen ist, bezweifelt aber, dass Gaddafi imstande ist, heroisch zu handeln. Ihm fehle sogar „der Mut zum Selbstmord“.
Gaddafi liebt die Theatralik und das Exzentrische, aber das konnte nie über seine Grausamkeit hinwegtäuschen. Wenn er Rache üben wollte, gab er Attentate in Auftrag und massakrierte die eigene Bevölkerung. 1996 wurden im Abu-Salim-Gefängnis von Tripolis rund 1200 politische Gefangene ermordet. Viele von ihnen stammten aus Bengasi, der heutigen Rebellenhochburg.
Sein Vorbild war ein Ägypter
Als Gaddafi vor 42 Jahren den greisen König Idris vom Thron vertrieb, deutete nichts auf eine lang währende Schreckensherrschaft hin. Der junge Oberst, Spross einer Beduinenfamilie aus der Nähe der Stadt Sirte, orientierte sich ganz an seinem Vorbild, dem Ägypter Gamal Abd el Nasser, Afrikas wichtigstem Politiker der 1960er Jahre. Jener, Oberst wie Gaddafi, hatte ein „Komitee der freien Offiziere“ gegründet, das 1952 den ägyptischen König Faruk stürzte. So ging auch Gaddafi vor: Er bildete den „Bund freier Offiziere“, mit dessen Hilfe er 1969 durch einen unblutigen Staatsstreich an die Macht kam. Gaddafi übernahm Nassers politische Prinzipien: Unabhängigkeit vom Westen, Einheit Arabiens (Panarabismus).
Aber am Exempel Gaddafi zeigt sich, wohin es führt, wenn Macht nicht durch das Volk kontrolliert werden kann. Der selbst ernannte „Revolutionsführer“, dessen Kleidung immer exotischer wurde, verdammte Wahlen als Erfindung des Westens und propagierte – auch in seinem „Grünen Buch“ – das Modell einer Volksgemeinschaft, die basisdemokratisch organisiert ist. Bei Teilen der europäischen Linken stieß dies sogar auf Interesse. 1982 flog eine Delegation der deutschen Grünen nach Tripolis, zu der auch der spätere Bundesinnenminister Otto Schily zählte. In Wahrheit führte Gaddafis undurchsichtiges System dazu, dass das Volk nicht mitentscheiden konnte und der Herrscher über das ölreiche Wüstenland an der nordafrikanischen Mittelmeerküste, der sich als „Bruder Führer“ ansprechen ließ, alle Fäden in der Hand behielt.
Gaddafi nutzte seine Macht nach innen und nach außen brutal aus. Er spielte die libyschen Stämme gegeneinander aus, und wer nicht für ihn war, der wurde als Gegner betrachtet. Tausende landeten als politische Gefangene im Knast.
In den 1980er Jahren begann Gaddafi, den internationalen Terrorismus zu unterstützen, und gab selbst Attentate in Auftrag. Sein Hass auf den Westen rührte maßgeblich aus der Niederlage im Grenzkrieg zwischen Libyen und dem Tschad her. Französische Truppen hatten mitgeholfen, dass die libyschen Invasoren aus dem Nachbarland gejagt wurden. Ziele der Rache Gaddafis waren nicht nur die bevorzugt von Amerikanern besuchte Berliner Diskothek La Belle sowie der US-Jumbo, der über Lockerbie abstürzte (270 Tote), sondern auch eine französische Passagiermaschine, in der nach einer Bombenexplosion 1989 im Niger 170 Menschen starben.
Die Rückkehr in die Völkergemeinschaft
Der damalige US-Vizepräsident George Bush und sein Chef Ronald Reagan nannten Gaddafi einen „tollwütigen Hund“ und ließen Tripolis und Bengasi bombardieren. Indirekt hat Gaddafi später die Verantwortung für die Anschläge übernommen, indem eine von ihm eingerichtete Stiftung die Angehörigen der Opfer entschädigte. Dies und das Versprechen, keine Massenvernichtungswaffen herzustellen, ebneten Libyen im 21. Jahrhundert die Rückkehr in die Völkergemeinschaft.
Gaddafi wurde darauf vom Westen regelrecht hofiert. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) besuchte ihn in Tripolis und man trank unter Lachen und Scherzen Tee miteinander. Auch US-Außenministerin Condoleezza Rice machte ihm ihre Aufwartung. Nach Rom und Paris wurde Gaddafi sogar eingeladen, und der Exzentriker, der mit einem 400 Köpfe starken Gefolge anreiste, durfte jeweils mitten in der Stadt sein Beduinenzelt aufstellen.
Doch nun hat das Volk den Revolutionsführer, der zum Diktator geworden war, in die Enge getrieben. Gaddafi weiß, wie es gestürzten Potentaten zuletzt erging. Vielleicht will er auch deswegen bisher nicht aufgeben. Den Zeitpunkt für eine Flucht hat er aber wohl verpasst. Das Spiel ist aus.
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