Nach Amoklauf in München: Ist auf den Staat Verlass?
München war auch ein Härtetest für die Sicherheitsarchitektur. Die Bundeswehr stand bereit, wurde aber nicht gebraucht. Trotzdem wird eine alte Debatte jetzt neu geführt.
Das Waffenrecht weiter verschärfen? Soldaten auch im Inland einsetzen? Die Polizeiarbeit von Bund und Ländern noch enger verzahnen? Der Schock über die Ereignisse von München sitzt auch in Berlin tief – und wie immer nach einem Anschlag oder einem Amoklauf folgt dem Unglück wie bestellt eine Diskussion, ob die deutsche Sicherheitsarchitektur eigentlich auf der Höhe der Zeit ist. Tatsächlich ist der Reformbedarf jedoch überschaubar.
Die Polizei
Fast drei Millionen Überstunden haben alleine die Beamten der Bundespolizei angesammelt, bei der bayerischen Polizei sind es mehr als zwei Millionen, die Beamten in Baden-Württemberg schieben 1,3 Millionen Überstunden vor sich her. Dennoch ist auf die Polizei in Extremsituationen Verlass: Der Einsatz in München wurde durchweg als hoch professionell und vorbildlich beurteilt. Eine Einheit der legendären Eliteeinheit GSG9 war schnell zur Stelle, außerdem baut die Bundespolizei gerade einen Verbund mit fünf über ganz Deutschland verteilten Spezialeinheiten von jeweils 50 Mann auf, die vor allem für den Anti-Terror-Kampf ausgebildet sind und unter anderem bei groß angelegten Fahndungen nach Attentätern eingesetzt werden sollen. Ein sogenannter Zug der neuen Truppe mit dem sperrigen Namen BFE+ ist bereits in der Nähe von Berlin stationiert. In München war er entgegen anderslautender Gerüchte am Freitag nicht vor Ort.
Die Bundeswehr
Der Streit um den Einsatz der Bundeswehr im Innern ist fast so alt wie die Bundeswehr selbst. Nachdem in München am Freitagabend eine Einheit der Feldjäger bereitstand, um die Polizei bei Bedarf zu unterstützen, nimmt diese Debatte nun wieder Fahrt auf. In extremen Situationen wäre es „völlig unbegreiflich“, wenn gut ausgebildete Soldaten nicht eingesetzt werden dürften, warnt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU). In den meisten anderen Ländern sei das selbstverständlich. Nach den Erfahrungen aus der Nazi-Zeit sind die Aufgaben von Polizei und Militär in Deutschland dagegen noch immer strikt getrennt. Die Bundeswehr ist für die Landesverteidigung zuständig und darf im Inland lediglich zur Katastrophenhilfe und bei einem Angriff auf die staatliche Grundordnung eingesetzt werden (innerer Notstand), aber nicht als stille Personalreserve, wenn die Kapazitäten der Polizei nicht mehr ausreichen sollten. Die Union drängt bereits seit längerem darauf, dass die Polizei Soldaten auch bei Terrorgefahr zur Hilfe rufen kann. SPD-Verteidigungsexperte Johannes Kahrs dagegen tobte schon vor den Ereignissen in München in der Welt: „Für einen Einsatz im Innern ist die Bundeswehr weder ausgebildet noch ausgerüstet. Sie geht schon jetzt auf dem Zahnfleisch.“ Die Sozialdemokraten plädieren für eine deutliche Aufstockung der Bundespolizei.
Das Waffenrecht
Deutschland hat bereits jetzt eines der schärfsten Waffengesetze der Welt. Wer nicht gerade Jäger oder Sportschütze ist, braucht schon sehr gute Argumente, um überhaupt einen Waffenschein zu bekommen. Nach verschiedenen Schätzungen sollen in der Bundesrepublik allerdings bis zu 20 Millionen illegale Waffen im Umlauf sein – darunter viele sogenannte Deko-Waffen, die einmal unbrauchbar gemacht wurden, um sie gefahrlos in eine Vitrine legen oder an eine Wand hängen zu können. Geschickte Bastler wie die Attentäter, die im vergangenen Jahr die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo in Paris überfallen haben, können diese Waffen allerdings wieder scharf machen. Auch der Amokläufer von München hatte eine illegale Waffe, aus der die Seriennummer heraus- gefräst war. Unter dem Eindruck der Anschläge von Paris und Brüssel hat sich die EU eine Verschärfung der Europäischen Waffenrichtlinie vorgenommen, die aber noch nicht in Kraft getreten ist. Sie soll den Online-Verkauf von Waffen und Waffenteilen erschweren, halb automatische Waffen sollen überdies nicht mehr an Privatpersonen verkauft werden dürfen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) verspricht sich davon weitere Fortschritte im Kampf gegen den illegalen Handel mit Waffen und Munition.
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