Rassismus - das amerikanische Problem
Weißer Polizist erschießt schwarzen Jugendlichen - kein Einzelfall. in Ferguson kommt es zu Krawallen. Und wieder heißt das große Thema Rassismus. Hört das denn nie auf?
Es muss nicht gleich Blut fließen, es müssen keine Häuser brennen, um auf ein Problem hinzuweisen. Es reichen auch nackte Daten. Im Jahr 2012 stellt der amerikanische Nachrichtensender CNN eine aufsehenerregende Studie vor. Eine Untersuchung, die auf einfache, aber erschreckende Weise deutlich macht, wie groß dieses Problem in Amerika ist. Noch immer ist. Schülern unterschiedlichen Alters und Hautfarbe wurde damals das Bild eines schwarzen und eines weißen Jungen gezeigt. Dann wurden sie gefragt, ob die beiden jemals Freunde werden könnten. Die Sechsjährigen antworteten ohne Zögern: ja. Dann kamen die Zwölfjährigen – und meldeten schwere Zweifel an der Aussage an.
Attacken von weißen Polizisten auf Schwarze sind keine Seltenheit
Die Studie erschien, kurz nachdem ein weißer Sicherheitsmann in Florida den unbewaffneten 17-jährigen Afroamerikaner Trayvon Martin erschossen hatte. Da war sie wieder, die Diskussion über die einen, die Weißen, und die anderen, die Schwarzen. 50 Jahre nach der Hochphase der Bürgerrechtsbewegung redete man sich die Köpfe heiß, wie tief Rassismus und ethnische Vorurteile noch immer in der US-Gesellschaft verankert sind. Das war 2001 so nach tödlichen Schüssen in Cincinnati oder auch 1991, als vier Polizisten den Schwarzen Rodney King zusammenschlugen.
„Racial profiling“ ist das böse Wort in Amerika. Kritiker meinen damit, dass die Polizei bei Ermittlungen Schwarze und Angehörige anderer Minderheiten für „verdächtiger“ hält als weiße Bürger. Die Befürworter dieser Praxis entgegnen: Statistiken belegen tatsächlich, dass Schwarze mehr Straftaten begehen.
Steckt Rassismus hinter den Schüssen auf Michael Brown?
Jetzt also Ferguson. Und wieder eine Umfrage. Vier von fünf Schwarzen glauben, dieser Todesfall in Missouri habe mit der Hautfarbe des Opfers zu tun. Aber nur 37 Prozent der weißen Befragten stimmen der Aussage zu.
Hier in der Kleinstadt bei St. Louis hat der weiße Polizist Darren Wilson Anfang August den Schwarzen Michael Brown, 18, erschossen. Zum Tathergang gibt es zwei Versionen. Zunächst berichteten Zeugen, der unbewaffnete Brown sei nach einem Wortgefecht mit Wilson mit mehreren Schüssen getötet worden, obwohl er die Hände erhoben hatte. Wilson zufolge hatte der kräftige Brown ihn aber bereits durch die Autotür zweimal ins Gesicht geschlagen und dann versucht, ihm die Dienstwaffe zu entwenden. Er habe sich gefühlt „wie ein Fünfjähriger im Kampf mit Hulk Hogan“, sagte Wilson aus. Schon im Auto habe er zweimal geschossen. Als Wilson sich entfernte, habe er noch einmal abgedrückt, weil der Teenager eine Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt habe und nicht entkommen sollte. Daraufhin sei Brown umgekehrt und mit geballter Faust auf Wilson zugegangen.
Jury klagt den Polizisten nicht an - der würde wieder so handeln
Welche Version auch stimmen mag: Fakt ist, dass die Justiz keine Anklage gegen Wilson erheben wird. Die Juroren entschieden nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Und Wilson – in Deutschland undenkbar – setzte sich einen Tag später ins Fernsehstudio und sagte: „Ich würde wieder so handeln.“ Danach gefragt, ob er auch so gehandelt hätte, wäre Brown weiß gewesen, sagte der Polizist: „Ja, keine Frage.“
Afroamerikaner in Ferguson haben Angst vor der Polizei
Sean Jackson, 45, lebt in Ferguson. Es ist der Tag nach den schweren Auseinandersetzungen, die das Urteil der Jury ausgelöst hat. Brennende Häuser und Autos, Plünderungen, Tränengas-Einsatz, 61 Festnahmen, eine Welle der Gewalt. Jetzt, am Tag danach – und auch in der folgenden Nacht – bleibt es weitgehend ruhig. Über 2000 Soldaten der Nationalgarde sind in der Kleinstadt mit ihren gut 20000 Einwohnern. Jackson hat seinem 25-jährigen Sohn eingetrichtert, wie er sich im Umgang mit Polizisten verhalten soll, wenn ihm sein Leben lieb ist. Die Polizei in Ferguson hat in der überwiegend schwarzen Bevölkerung seit Jahren einen schlechten Ruf. „In Ferguson ist jeder schwarze Autofahrer nervös, weil er Angst vor Polizeikontrollen hat“, sagt er. „Angst, getötet zu werden, ins Kittchen zu kommen oder ein Bußgeld berappen zu müssen. Wenn jeden Tag die Nerven blank liegen, ist das nicht lustig.“
Fergusons Einwohner sind zu zwei Dritteln schwarz, doch der Bürgermeister ist weiß, und der Anteil der Afroamerikaner im Stadtrat und bei der Polizei verschwindend gering. Aufgrund der strikten Vorstrafenbestimmungen tun sich US-Behörden generell schwer, genügend Afroamerikaner für den Sicherheitsdienst zu finden.
Warum ist die Kriminalitätsrate bei Schwarzen in den USA so hoch?
Gleichzeitig ist die Kriminalitätsrate insbesondere unter männlichen schwarzen Jugendlichen deutlich höher als in anderen Bevölkerungsgruppen. Laut einem UN-Bericht sind Schwarze in den USA stark überrepräsentiert unter jenen Bürgern, die „festgenommen, angeklagt, verurteilt, eingesperrt und zu lebenslanger Haft verurteilt werden“. Darüber hinaus sei die Wahrscheinlichkeit, erschossen zu werden, für schwarze Männer siebenmal höher als für weiße, erklärte der UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung.
Amerika hat ein Problem
Mit Spannung hat man im Land auf die Reaktion von Barack Obama gewartet. Zu den Ausschreitungen sagt der Präsident: „Ich habe keinerlei Sympathie für diejenigen, die ihre eigene Gemeinde zerstören.“ Zugleich äußert er Verständnis für das Gefühl vieler Menschen, dass Gesetze „nicht immer einheitlich oder gerecht“ angewandt würden. Und dann sagt er: „Dieses Problem ist nicht ein Ferguson-Problem. Das ist ein amerikanisches Problem.“
Eine Meinung, die viele teilen. Auch Volker Depkat. Der Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg wundert sich auch nicht über das Ausmaß der Demonstrationen, die sich inzwischen auf über 170 Städte in den USA erstrecken, allerdings bislang nur in Ferguson in Gewalt ausarteten. „Das ist ein wiederkehrendes Muster“, sagt er. „Es handelt sich um kurzfristige, explosionsartige Proteste, die meist durch einen äußeren Anlass – hier das Urteil der Jury – ausgelöst werden und dann sehr militant und gewalttätig werden.“ Der Experte ist sicher: „Sie gehen wieder vorbei.“
Auch Geld trennt die Bevölkerung
In Amerika wollen viele Aktivisten bereits eine Wiederbelebung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ausgemacht haben. Depkat sieht das nicht so. Zwischen der etablierten schwarzen Mittelschicht und den Bewohnern der innerstädtischen Slums verlaufe ein tiefer Riss. Diese Menschen hätten zwar dieselbe Hautfarbe, aber grundlegend unterschiedliche Interessen. Selbst wenn jetzt auch gut gebildete Schwarze mit College-Abschluss auf die Straße gehen, „eine dauerhafte Allianz ist das nicht“. Viel tiefer als die ethnische Herkunft greife die strukturelle Ungleichheit: „Schwarz sein heißt noch immer oft arm sein.“
Reichtum und Armut aber sind in den USA räumlich strikt getrennt. Die bedürftige, oft schwarze Bevölkerung lebt in den Ghettos und Innenstädten. Die Wohlhabenden, meist Weiße, bewohnen schicke Vorstadthäuser. Schnell wird man da als Eindringling abgestempelt. „Solange diese räumliche Verteilung nicht rückgängig gemacht wird, werden wir Fälle wie den von Michael Brown immer wieder haben.“
Protest kommt in amerikanischer Mittelschicht nicht an
In der Mitte der Gesellschaft kommt der Protest nicht an. Geplünderte Geschäfte, zerstörte Innenstädte: „Weite Teile der Mittelschicht lehnen Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab und sind im Moment einfach nur erschrocken.“ Der Sache der Schwarzen sei dies nicht zuträglich. Ohne Druck aus der Mittelschicht könne es sich die Politik leisten, nichts zu tun. Deshalb kommt Depkat zu dem Schluss: „Ich fürchte, man wird einfach warten, bis sich die Proteste wieder legen.“ (mit afp und dpa)
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