Salafisten werben im Gefängnis für den Dschihad
Die Zahl der inhaftierten Islamisten wächst. Und mit ihnen die Gefahr, dass sie Mitgefangene als Kämpfer rekrutieren.
Sie kommen als Kleinkriminelle – und gehen als Terroristen. Amédy Coulibaly, einer der Attentäter von Paris, saß wegen Drogendelikten und Hehlerei ein, als eine Gruppe von Mitgefangenen ihn für den Heiligen Krieg gewann. Mehdi Nemmouche, der im Mai vergangenen Jahres vor dem jüdischen Museum in Brüssel vier Unschuldige erschossen haben soll, hatte gestohlen und einen Supermarkt überfallen, ehe er zum Islamisten wurde.
Hinter Omar Abdel Hamid El-Hussein, der in Kopenhagen zwei Menschen tötete und fünf weitere verletzte, lagen eine zweifelhafte Karriere als Einbrecher und Autodieb sowie eine Messerstecherei, bevor er in seinen ganz persönlichen Krieg gegen alles Westliche zog. Wie in einem Durchlauferhitzer wurde auch er im Gefängnis radikalisiert.
Drei Attentäter, ein Phänomen. In deutschen Haftanstalten sind bisher zwar keine derart dramatischen Fälle aktenkundig geworden – aber auch hier treffen Extremisten auf junge Menschen, die labil sind, die einen Halt in ihrem verkorksten Leben suchen, die schnell jemandem folgen und entsprechend leicht zu beeinflussen und zu begeistern sind.
Justizminister Bausback: "Das ist traurige Realität"
„Brandgefährlich“ sei das, sagt der bayerische Justizminister Winfried Bausback bei einer Fachtagung in Berlin. Immer wieder versuchten Salafisten, Netzwerke in den Gefängnissen aufzubauen und Kandidaten für Terrorgruppen in Syrien und anderen Ländern zu werben. „Das ist traurige Realität.“
Zwei Syrien–Rückkehrer sitzen im Moment im bayerischen Vollzug, dazu etwa 20 weitere einschlägig bekannte Islamisten. Tendenz: steigend. Fast 700 Fanatiker sind nach Erkenntnissen der deutschen Behörden aus der Bundesrepublik in den Krieg nach Syrien oder in den Nordirak gezogen, gegen mehr als 200 Heimkehrer laufen gegenwärtig Verfahren. Etliche von ihnen werden bald im Gefängnis landen und ihren Mitgefangenen stolz vom Dschihad erzählen.
Ein paar Jahre in Haft, sagt Gero Meinen von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, seien für diese Menschen kein Problem, sondern Teil ihrer persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung. Und nützlich machen sie sich, wenn sie neue Kämpfer anwerben...
Radikale wirken vor allem auf junge Insassen attraktiv
„Terrorist wird man nicht über Nacht“, warnt Gerhard Weigand, der Leiter der Justizvollzugsanstalt in Ebrach bei Bamberg. Vor allem auf junge Menschen, wie sie bei ihm einsitzen, wirkten die Radikalen attraktiv. Sein Kollege aus dem oberbayerischen Neuburg, Ernst Meier-Lämmermann, spricht von einer sektenartigen Symbiose, die entstehe, wenn Islamisten aus der Nachbarzelle neue Kandidaten für den Dschihad umgarnen und sich plötzlich verschworene kleine Gruppen bilden.
Praktiker wie er arbeiten deshalb auch mit dem Verfassungsschutz zusammen, um möglichst viel über ihre Häftlinge und ihren Hintergrund zu erfahren. Sie versuchen mit Schul- und Berufsausbildungen etwas gegen die tägliche Monotonie in der Haft zu tun. Sie stoppen verdächtige Post an leicht Verführbare und lassen auch nicht jeden Besucher in ihre Anstalten.
Ein Imam, bei dem nicht klar ist, ob er tatsächlich auf dem Boden des Grundgesetzes steht, bleibt im Zweifel draußen. „Wir isolieren nicht die Personen“, sagt Bausback. „Wir versuchen, die Ideologie zu isolieren.“ Ein Salafist wird also lieber mit einem „gestandenen“ Betrüger zusammengesperrt als mit einem labilen Drogenkriminellen.
Welchen fruchtbaren Boden die Islamisten in Gefängnissen oft vorfinden, zeigt der Fall des Konvertiten Sven Lau. Der Prediger, der sich heute Abu Adam nennt, saß Anfang vergangenen Jahres für einige Monate in der Justizvollzugsanstalt Mannheim in Untersuchungshaft. Dort hat er nach allem, was man weiß, zwar keine Dschihadisten rekrutiert. Kurz nach der Entlassung Laus allerdings vermeldete ein Szene-Blog stolz, drei christliche Gefangene seien nach Gesprächen mit ihm zum Islam konvertiert.
In Hessen, einer Hochburg der Salafisten, spricht Justizministerin Eva Kühne-Hörmann von „tickenden Zeitbomben“ in den Gefängnissen – und hat deshalb 400.000 Euro für ein neues Präventionsprogramm ausgegeben. Anders als im Kampf gegen den Rechtsextremismus gibt es bislang jedoch wenig einschlägig erfahrene Sozialarbeiter, Psychologen oder ehrenamtliche Helfer.
Berlins Justizminister Thomas Heilmann kling denn auch etwas besorgt, wenn er über die wachsende Zahl an inhaftierten Islamisten und das überschaubare Angebot an Hilfen redet. „Ob wir genug tun?“, fragt er – und gibt die Antwort gleich selbst: „Dafür würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen.“
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