Sea-Watch: In der Freizeit retten sie Flüchtlinge
Die "MS Sea-Watch" fährt aufs Mittelmeer, um dort Menschen zu bergen. An Bord sind lauter Ehrenamtliche. Können sie den Flüchtlingen wirklich helfen?
Als Harald Höppner im April in der Talkshow von Günther Jauch auftaucht, fragen sich viele Zuschauer, ob dieser Mann weiß, wovon er da redet. Es wird ein denkwürdiger Auftritt. Höppner erzwingt eine Schweigeminute für die Flüchtlinge, die kurz zuvor im Mittelmeer ertrunken waren. Weil niemand half. Höppner will helfen. Und zwar auf eigene Faust.
Gemeinsam mit zwei Dutzend Familien gründet der Brandenburger den Verein Sea-Watch. Es gibt dafür Anerkennung, aber viele halten die Initiative für naiv, für gefährlich. Von Gutmenschentum ist die Rede. Höppner macht weiter. Und heute kreuzt ein 21 Meter langer, dunkelblauer Kutter vor der Küste Libyens. In weißen Buchstaben steht sein Name auf der Seite: Sea-Watch.
Das Schiff hat zwei Monate gebraucht, bis es im Mittelmeer ankam
Das Schiff ist ein Rettungswagen im Meer. Acht Menschen haben darauf Platz. Ärzte, Sanitäter, Skipper und ein Kapitän. Sie engagieren sich ehrenamtlich. Sie wollen Leben retten. Zwei Monate hat der frühere Fischkutter gebraucht, bis er im Mittelmeer ankam. Doch können die Besatzungsmitglieder dort helfen? Oder begeben sie sich in Gefahr? Für das, was sie erwarte, sei eine Handvoll Ehrenamtlicher nicht gewappnet, warnen Kritiker.
Dabei gibt es ein erfolgreiches Vorbild: das maltesische Millionärsehepaar Regina und Chris Catrambone. Nach der Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa 2013 gründen sie die Stiftung Migrant Offshore Aid Station (Moas). Sie kaufen ein Schiff, statten es mit professioneller Technik, Drohnen, um Flüchtlingsboote zu finden, und Helfern aus. Seitdem holen sie Menschen in Seennot aus dem Wasser. Fast 7000 sind es bisher nach eigenen Angaben. Den Impuls gibt der Besuch von Papst Franziskus auf Lampedusa. Er fordert ein Ende der Gleichgültigkeit. Und die Catrambones handeln. Mittlerweile beteiligen sich auch „Ärzte ohne Grenzen“ an Moas. Die Organisation schickt darüber hinaus zwei eigene Boote.
Bei der Bergung kann es zu tödlichen Unfällen kommen
Die Rettungen laufen immer ähnlich ab: Wenn ein Flüchtlingsboot entdeckt wird, geht ein Notruf an die Leitstelle in Rom. Sie schickt das Schiff zu Hilfe, das am nächsten an dem Boot ist. Häufig sind das Handelsschiffe. Wer angefunkt wird, muss helfen. Das schreibt das internationale Seerecht vor. Ignoriert ein Kapitän die Anweisung, kann er wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt werden. Aber die Besatzungen der Handelsschiffe sind kaum vorbereitet, hunderte Menschen, die durstig, verletzt und traumatisiert sind, aus dem Meer zu holen. Sie haben keine Ärzte an Bord, nicht genügend Schwimmwesten und oft keine kleineren Beiboote. Das kann dazu führen, dass es bei der Bergung zu tödlichen Unfällen kommt. Die Besatzungen der Handelsschiffe stoßen an körperliche und psychische Grenzen, warnt der Reederverband.
Hier kommt Sea-Watch ins Spiel. Um selbst Flüchtlinge an Bord zu holen, ist der dunkelblaue Kutter zu klein. Wenn ein Flüchtlingsboot entdeckt wird, alarmieren die Ehrenamtlichen deshalb ebenfalls die Leitstelle. Anschließend wollen die Ärzte und Sanitäter an Bord der Handelsschiffe helfen. Mit kleinen Beibooten wollen sie die Flüchtlinge von ihren Booten holen und an die großen Schiffe übergeben. Ob das klappt, ist offen. Bisher hat die Sea-Watch einen Ernstfall hinter sich. Dabei half die Besatzung vor allem mit Sattelitentelefonen. Zuletzt schlug sie sich eher mit der Frage herum, ob Kamerateams live von Bord berichten können. Das große Interesse, das Höppner mit seinem Auftritt bei Jauch ausgelöst hat, scheint bisweilen zu überfordern.
Fakt ist: Seenotrettung ist schwierig. Florian Westphal von Ärzte ohne Grenzen war erst vor kurzem in Sizilien, um sich ein Bild zu machen. „Die Rettung mit kleinen Booten erfordert sehr viel Kommunikation mit den Flüchtlingen“, sagt er. Sie müssten verstehen, dass keiner zurückbleibt, auch wenn nicht alle gleichzeitig gerettet werden können. Ansonsten drohen Panik und Gewalt. „Außerdem besteht die Gefahr, dass die Boote kentern, wenn alle Menschen zu einer Seite drängen“, erzählt er. „Da braucht es eine gute Logistik.“
Auch die Bundeswehr ist mit zwei Schiffen im Mittelmeer
Diese Gefahren kennt auch die Bundeswehr, sie ist mit zwei Schiffen im Mittelmeer. Die Soldaten stoßen immer wieder an ihre Grenzen. „Wenn plötzlich über 800 Menschen an Bord sind, und die Besatzung bis zu 16 Stunden gearbeitet hat, ist das sehr anstrengend“, sagt eine Bundeswehr-Sprecherin.
Wie also sollen die Ehrenamtlichen auf der Sea-Watch klarkommen? Damit die Situation erträglich bleibt, wird die Besatzung jeweils nur zwei Wochen eingesetzt. Gerade ist ein Arzt an Bord, der für die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gearbeitet hat. Sein Kollege war bei Ärzte ohne Grenzen – beide haben also Erfahrung. Dass Ehrenamtliche auf dem Mittelmeer Menschen retten sollen, sieht Sea-Watch selbst kritisch. Und doch möchten die Aktivisten so lange bleiben, bis es eine andere Lösung gibt. Denn aktuell konzentriert sich kein europaweites Projekt auf die Seenotrettung. Zwar hat die Grenzschutzorganisation Frontex die Mission Triton gestartet, deren Schiffe auch Flüchtlinge in Seenot aufnehmen. Doch bei Triton geht es nicht um humanitäre Hilfe, sondern darum, die EU-Grenzen zu bewachen.
Florian Westphal von Ärzte ohne Grenzen findet „privates Engagement immer gut, solange die Helfer die richtigen fachlichen Voraussetzungen und die richtige Ausrüstung haben“. Und doch sieht er die Politik in der Pflicht: „Es ist ein Armutszeugnis, dass Nichtregierungsorganisationen sich um die Seenotrettung kümmern müssen.“
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