Sebastian Edathy: Kein Wort des Mitgefühls
Über die Opfer von Kinderpornografie redet Sebastian Edathy nicht gerne. Über sich selbst dafür umso mehr. Und wenn ihm eine Frage nicht passt, stellt er halt selbst eine.
Fragen beantwortet Sebastian Edathy gerne mit Gegenfragen. „Kennen Sie die Filme?“, faucht er einen Journalisten an. „Wissen Sie, worüber Sie schreiben?“ Einem anderen, der wissen will, ob der 45-Jährige pädophil ist, entgegnet er: „Vielleicht sind Sie ja pädophil?“ Erst danach fügt er hinzu: „Was Sie sind, geht mich nichts an, und was ich bin, geht Sie nichts an.“
Es ist ein Auftritt, wie ihn die altehrwürdige Bundespressekonferenz noch nicht erlebt hat. Vor dem Haus patrouillieren Polizisten, als tage drinnen der Weltsicherheitsrat – dabei sitzt dort nur ein ehemaliger SPD-Abgeordneter, von dem niemand so genau weiß, was er hier eigentlich will: Mit seiner Partei abrechnen? Das Bild eines Mannes korrigieren, der von sich selbst sagt, er sei in Deutschland „verbrannt“, seit er im Verdacht steht, im Internet Kinderpornos bestellt zu haben? Oder noch ein letztes Mal die Aufmerksamkeit genießen, ehe er zurückkehrt nach Nordafrika, wo er offenbar lebt? Wo genau, will Edathy nicht verraten. „Mit Verlaub“, sagt er. „Das geht Sie einen feuchten Kehricht an.“
Edathy belastet frühere SPD-Kollegen und den früheren BKA-Präsidenten
Unter anderen Umständen würde sich die Hauptstadtpresse nicht mehr für einen Mann interessieren, der sein Mandat im Bundestag niedergelegt hat und im Moment nicht viel mehr ist als ein Beschuldigter in einem Strafverfahren irgendwo tief in der niedersächsischen Provinz. Nachdem Edathy jedoch behauptet, von seinem SPD-Kollegen Michael Hartmann vor den Ermittlungen gegen ihn gewarnt worden zu sein, entwickelt sein Fall neue politische Sprengkraft. Mit dem früheren Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU ist ein prominenter Koalitionär bereits zurückgetreten, weil er seine Verschwiegenheitspflicht gebrochen und SPD-Chef Sigmar Gabriel diskret über die Ermittlungen gegen Edathy informiert hatte. Mittlerweile jedoch sieht es so aus, als habe die halbe Sozialdemokratie davon gewusst – oder es soll zumindest so aussehen. Dafür, dass damals außer Polizei und Justiz eigentlich niemand von dem Verdacht gegen Edathy wissen darf, gibt es jedenfalls ziemlich viele Mitwisser.
Dem Untersuchungsausschuss des Bundestages übergibt Edathy später eine eidesstattliche Erklärung, in der er auf drei Seiten auflistet, wer wann mit ihm über seinen Fall gesprochen hat. Demnach war nicht nur Hartmann außergewöhnlich gut über den Stand der Dinge informiert, sondern praktisch jeder, der damals in der Bundestagsfraktion der SPD etwas zu sagen hatte – vom späteren Vorsitzenden Thomas Oppermann über dessen Büroleiter und Geschäftsführerin Christine Lambrecht bis zum heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Für Hartmann könnte das, sofern Edathy Recht hat, unangenehme Folgen haben: Wer einen Verdächtigen warnt, macht sich der Strafvereitelung schuldig. Wörtlich heißt es in Edathys Erklärung dazu: „Nachdem ich fragte, worum es gehe, sagte er mir, er habe aus Sicherheitskreisen gehört, mein Name befände sich auf der Kundenliste einer Internet-Firma, die ins Visier kanadischer Behörden geraten sei.“
Stammen soll die Information von Jörg Ziercke, damals noch Präsident des Bundeskriminalamtes und ebenfalls SPD-Mitglied: „Michael Hartmann sagte mir, Ziercke hielte ihn persönlich über den Fortgang der Angelegenheit auf dem Laufenden.“. Damit hätte der Spitzenbeamte ein Dienstgeheimnis verraten.
Hartmann und Ziercke bestreiten Edathys Version
Hartmann und Ziercke bestreiten diese Version – Edathy aber bleibt dabei. Warum solle er lügen, fragt er. „Ich habe nichts mehr zu verlieren.“ Zwei Stunden sitzt er vor der Bundespressekonferenz, die ihm ein Forum für einen Auftritt der besonders befremdlichen Art bietet. Fragen wie die, ob er denn kein Mitgefühl für die Opfer von Kinderpornografie habe, prallen an Edathy ebenso ab wie die, ob er bereue, was er getan habe. „Wir sprechen hier nicht von einem Kapitalverbrechen“, sagt er einmal, und dass er davon ausgegangen sei, nichts Verbotenes zu tun, schließlich habe er die Bilder unter seinem Namen, mit seiner Kreditkarte und seiner Anschrift geordert. „Es war sicherlich falsch, diese Filme zu bestellen, das will ich gerne einräumen, aber es war legal.“ Nur einmal, ganz zu Beginn, sagt er etwas zerknirscht: „Ich habe viele Menschen enttäuscht. Das tut mir aufrichtig leid.“
Ob er tatsächlich ein Täter ist, ob er neben legalem auch strafbares Material besessen hat, muss das Landgericht in Verden klären, mit dem er gerade über die Einstellung des Verfahrens gegen eine Buße in „mittlerer vierstelliger Höhe“ verhandelt. Der Edathy jedoch, der jetzt nach Berlin zurückgekehrt ist, sieht sich erkennbar als Opfer. Er klagt über die psychische Belastung, die öffentlichen Vorverurteilung, die Morddrohungen und seine verpassten Karrierechancen in der SPD. Ein soziales Umfeld, ein Zuhause, einen Beruf: „Ich habe das alles nicht mehr.“ Kurz: „Ich führe ein Leben im Ausnahmezustand.“
Von Selbstmitleid, hat Edathy kurz zuvor beteuert, sei er weit entfernt. Was er sagt, klingt anders.
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