So blicken zwei Opfer auf die Kölner Silvesternacht zurück
Einen Monat ist die Kölner Silvesternacht nun her. Noch immer bekommen Opfer die Bilder nicht aus dem Kopf. Manche schweigen. Andere wollen reden. Reden, um zu vergessen.
Der Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs ist in fahles Winterlicht getaucht. Auf Höhe des Deichmannhauses stehen mehrere Streifenwagen. Neben dem Haupteingang des Bahnhofs lehnen Polizisten und taxieren die Passanten. Gleich werden sie vor der Bäckerei einen schmalen, dunkelhaarigen Mann in einer zu dünnen Jacke umstellen und nach seinen Papieren fragen. „Wir zeigen Präsenz“, sagt eine junge Polizistin. „Man soll sehen, dass wir etwas tun.“
Genau einen Monat vorher, am Abend des 31. Dezembers 2015, war das anders. Da rotteten sich vor dem Kölner Hauptbahnhof rund 1000 Männer vorwiegend aus Nordafrika zusammen, unbehelligt von der Polizei. Ihr Ziel: Trinken. Stehlen. Und hunderte junger Frauen aufs Übelste sexuell belästigen.
Einen Monat ist das her. Ein Monat, in dem sich vieles verändert hat – nicht nur in Köln. Noch immer diskutiert Deutschland darüber, wie es nur so weit kommen konnte. Wo die Polizei in jener Nacht war. Warum die massiven Übergriffe erst so spät bekannt wurden. Und ob man sich als Frau noch sicher fühlen kann, nachts, in der Großstadt oder demnächst im Karneval. Darüber, wie groß die Bedrohung ist, die von einem Teil der Migranten ausgeht. Und darüber, was das alles mit der Flüchtlingspolitik zu tun hat.
"Ich dachte: Du musst hier raus, das überlebst du nicht"
Janine K., die nicht wirklich so heißt, gehört zu den jungen Frauen, die reden wollen; die reden müssen über das, was ihnen in jener Nacht passiert ist. Reden, um zu verarbeiten, was war. Reden über die zahllosen Hände zum Beispiel, die ihr grob unter die Kleidung fuhren und ihren Körper betatschten, als sei sie ein Stück Vieh. In ihren Träumen fühlt die 17-jährige Gymnasiastin sie wieder und wieder auf der Haut. Sie will reden – über die Angst, die sie überfiel, als sie „plötzlich keinen Himmel mehr sah, sondern nur noch dunkle Gesichter“. Über dieses Gefühl der Demütigung, als die Menge sie schließlich ausspuckte, mit zerrissenen Klamotten und in Tränen aufgelöst.
Und Janine will über das Danach reden. Über ihre neue Furcht vor der Dunkelheit, die Abend für Abend in ihr hochkriecht. Über den ungewohnten Kloß im Magen, wenn sie auf Menschen mit dunkler Hautfarbe trifft, denen noch vor Wochen ihr Mitgefühl gegolten hätte. „Jetzt denkt man nicht mehr automatisch: Ach ja, das sind nur ein paar arme Flüchtlinge.“ Dieses Unbehagen wäre sie gern wieder los.
Janine ist in dieser Silvesternacht mit ihren Freundinnen in Köln unterwegs. „Zuerst war alles gut. Wir hatten viel Spaß.“ Nach dem Feuerwerk schlendern die fünf Frauen gemeinsam zum Hauptbahnhof. Sie wollen um 1.24 Uhr den Zug ins 40 Kilometer entfernte Gummersbach erwischen. Der Bahnhofsvorplatz ist rappelvoll. Überall Männer. „Wir haben uns an den Händen festgehalten, wie Mädels das halt so machen, wenn sie abends unterwegs sind“, sagt Janine. Ihre Stimme ist fest, auch wenn das Erzählen schwerfällt. „Es trifft mich immer noch extrem, wenn ich über diese Nacht spreche“, sagt sie.
Bald tastet sich die erste Hand an ihrem Körper entlang. Und es wurden immer mehr. „Da waren plötzlich ganz viele Hände, und die Männer wurden immer aggressiver. Sie kniffen, fassten mir in den Schritt und zogen an meiner Hose“, erzählt sie. Ihre Freundinnen hat Janine da schon verloren, auch ihr Handy war weg. „Ich sah nur noch dunkle Gesichter und dachte: Du musst hier raus, das überlebst du nicht.“
Mehr als 1000 Opfer bei den Silvester-Übergriffen
Janine weiß bis heute nicht, wie lange sie von den Männern traktiert wurde. Irgendwann findet sie sich außerhalb des Pulks wieder. Den vier Freundinnen ist es ähnlich ergangen. Weinend hocken sie in der Bahnhofshalle auf dem Boden. Ein paar Männer sprechen sie in gebrochenem Deutsch an und bieten Hilfe an. Die verstörten jungen Frauen lehnen entsetzt ab: „In so einem Moment ist jeder Mann dein Feind.“ Erst recht, wenn er dunkle Hautfarbe hat.
„Ich will nicht, dass diese eine Nacht mein Leben bestimmt“, sagt Janine heute. Gemeinsam mit den Freundinnen hat sie die Vorfälle bei der Polizei gemeldet und mit einer Vertreterin der Opferhilfsorganisation „Weißer Ring“ gesprochen. Ihre Ängste geht die 17-Jährige offensiv an. „Ich will mich nicht zu Hause verstecken, weil ich plötzlich denke, draußen laufen nur noch böse Menschen herum. Also habe ich mich selber ein bisschen therapiert und gehe abends wieder raus. Auch wenn ich noch immer Angst vor der Dunkelheit habe.“
Andere junge Frauen reagieren weniger couragiert, wie sich im sozialen Netzwerk Facebook nachlesen lässt. „Ich merke, dass ich weniger weggehe und wenn, mich immer von männlichen Freunden begleiten lasse. Nächtliche Heimgänge mach ich alleine gar nicht mehr und ich zahl auch eher Taxi als allein mit der Bahn zu fahren“, schreibt eine junge Frau. Und setzt hinterher: „Ich will mein Köln zurück.“ Die erste Begegnung mit einem dunkelhäutigen Paar kurz nach der Silvesternacht sei ein kleiner Schock gewesen, räumt Janine ein. Und dass sie schon ein mulmiges Gefühl hatte. „Doch im nächsten Moment denkt man: Das sind doch ganz normale Menschen. Die waren nicht dabei in dieser Nacht.“
Inzwischen sei auch das etwas besser geworden. „Ich weiß allerdings nicht, wie ich reagieren würde, wenn eine ganze Gruppe dunkelhäutiger Männer auf mich zukäme.“ Dennoch wollen Janine und ihre beste Freundin, die ebenfalls dabei war in der Silvesternacht, den Flüchtlingskindern an ihrer Schule weiterhin Deutschnachhilfe geben. Das sei kein Problem für sie, beteuert Janine.
Mehr als 1000 Opfer der Silvester-Übergriffe haben inzwischen Anzeige erstattet, 433 wegen eines Sexualdelikts. Und die Zahl der Anzeigen steigt weiter. „Viele Frauen können nicht sofort loslaufen und darüber reden, was ihnen passiert ist“, sagt Angelika Engstfeld, seit 24 Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin beim „Weißen Ring“. Auch mit Janine und ihren Freundinnen hat sie ein erstes Gespräch geführt. „Je eher man darüber redet, desto besser“, sagt die Opferschützerin. Sie spricht aus Erfahrung. Und sie weiß, dass jede Frau anders auf sexuelle Gewalt reagiert. „Manche brauchen Zeit, ehe sie sich öffnen können. Andere wollen überhaupt nicht darüber sprechen. Und bei manchen ist das ganze restliche Leben von einer solchen Erfahrung beeinflusst“, sagt Engstfeld.
Zehn Frauen haben sich bundesweit bislang beim „Weißen Ring“ gemeldet, acht von ihnen stammen aus Nordrhein-Westfalen. Auch die Gerichtshilfe Köln und der Landschaftsverband Rheinland, ein Zusammenschluss der Kommunen, haben Hotlines geschaltet. Die Nachfrage ist relativ verhalten – die meisten Frauen stammen nicht aus Köln. „Viele Opfer müssen erst mal den Schock überwinden oder suchen sich vor Ort Hilfe“, schätzt Michael Sturmberg, Sprecher des Kommunalverbands. Rund 25 Frauen haben sich bislang dort gemeldet. „Die Hotline bleibt bestehen, solange Bedarf besteht, selbst wenn nur noch ein oder zwei Anrufe pro Woche eingehen“, versichert Sturmberg.
"Vieles kommt erst jetzt nach und nach hoch"
Wie wichtig Beistand und Unterstützung für die Betroffenen ist, weiß auch Sandra W. (Name geändert). Die alleinerziehende Mutter war in der Silvesternacht mit einer Bekannten in der Kölner Altstadt unterwegs. Zwei weitere Freundinnen gerieten nach Mitternacht in die Hände des Mobs auf dem Bahnhofsvorplatz. Ihr selber sei nichts passiert, versichert Sandra. „Ich weiß mich zu wehren.“ Dennoch gehen ihr die Bilder von den Geschehnissen jener Nacht nicht aus dem Kopf. Weil sie Sachen gesehen hat, die sie ihr ganzes Leben lang noch nicht gesehen hatte, wie sie sagt. Vor allem eine junge Frau ist ihr im Gedächtnis geblieben. „Sie kam uns entgegengelaufen und schrie immer nur: ,Weg, weg, geht da nicht hin.‘ Die war überhaupt nicht mehr ansprechbar.“
Andere suchten in ihrer verzweifelten Lage Schutz in der Altstadt. Sandra hat junge Frauen apathisch auf dem Boden liegen sehen und Hilfeschreie gehört, die sie ignorierte. Heute macht sie sich deswegen Vorwürfe. „Ich wollte in dem Moment einfach nicht wahrhaben, was da passierte. Es waren so viele Eindrücke. Vieles kommt erst jetzt nach und nach hoch.“
Sandra W. reagiert mit Wut auf die Vorkommnisse. Wenige Tage nach der Schreckensnacht von Köln steht sie zusammen mit hunderten Frauen auf der Domplatte und demonstrierte lautstark gegen Gewalt an Frauen. Ihre beiden Freundinnen haben inzwischen Anzeige erstattet. Eine von ihnen ist krankgeschrieben und weigert sich seither, das Haus zu verlassen. Sie will mit niemandem sprechen. Sandra W. bringt ihr gelegentlich etwas zu essen vorbei.
Dunkelheit hat sich über den Bahnhofsvorplatz gesenkt. Nur wenige Menschen sind an diesem Abend in der Kälte unterwegs. Vor dem Deichmannhaus stehen noch immer sechs Streifenwagen. „Das ist kein Platz für Vergewaltiger“, ruft eine junge Frau, ehe sie weitereilt Richtung Innenstadt. Janine, Sandra und ihre Freundinnen hoffen, dass das wahr ist.
Die Diskussion ist geschlossen.
Man redet in Deutschland oft von traumatsierten Flüchtlingen. Es wird gerne übersehen, dass aus der Silvesternacht hunderte von durch Flüchtlinge und Asylanten traumatisierte deutsche Frauen hervorgegangen sind.
Josef F., so ist es leider man hat nur immer mit dem Täter Mitleid und dabei werden die Opfer vergessen.
Und dann wird auch noch unterstellt, dass vieles davon gelogen sei.
Zweifel sind immer angebracht - oder waren Sie dabei und können es eindeutig bezeugen? Folgendes finde ich immer interessant: einer/eine fängt an - und dann sind 1-2 Tage Pause - und dann gehts rasant, meistens exponentiell weiter. Normal ist das nicht. Wenn an mir ein Vergehen oder Brebrechen verübt würde, wäre ich spätestens am nächsten Tag um 0800 Uhr bei der Polizei.