So viele Studenten wie nie in Deutschland: Das sorgt auch für Kritik
2,8 Millionen Menschen sind an den deutschen Universitäten eingeschrieben. Das ist ein Rekord. Wirtschaftsverbände kritisieren diese Akademisierung - laut Statistiken zu unrecht.
Fünf Minuten vor Vorlesungsbeginn: Einige Studenten sitzen auf dem Boden, andere lehnen an der Wand oder stellen Stühle vor die offene Tür. Der Hörsaal ist überfüllt. Wer jetzt noch kommt, muss draußen bleiben und sich die Unterlagen aus der Vorlesung von Kommilitonen besorgen. So geht es vielen Studenten in Deutschland. Die Universitäten sind voll, weil sich immer mehr junge Menschen für ein Studium entscheiden.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen diese Entwicklung. Demnach sind derzeit 2,8 Millionen an deutschen Universitäten eingeschrieben – 60.000 mehr als im vergangenen Wintersemester. Nie zuvor gab es hierzulande so viele Studenten. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ermittelte, dass kurzfristig bis zu 50.000 studierwillige Flüchtlinge in den Unis ankommen werden.
53 Prozent eines Jahrgangs studieren oder beginnen anderen höheren Bildungsgang
Dass immer mehr junge Menschen studieren, hatte am Dienstag auch der Jahresbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gezeigt. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass derzeit 53 Prozent eines Jahrgangs in Deutschland ein Studium oder einen anderen höheren Bildungsgang wie Meister oder Techniker beginnen. Der Durchschnitt der OECD-Länder liegt mit 60 Prozent noch ein gutes Stück darüber.
Wirtschaftsverbände kritisieren schon länger die steigenden Zahlen an Studierenden. Der frühere SPD-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin bezeichnet diese Entwicklung als „Akademisierungswahn“. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben, Ulrich Wagner, forderte in einem Interview mit unserer Zeitung die Gleichstellung der beruflichen Ausbildung mit dem Studium: „Über 25 Jahre hat man den Leuten eingetrichtert, dass der Mensch erst mit dem Abitur beginnt, dass ein Studium einen sicheren Arbeitsplatz garantiert und eine höhere Bezahlung. Das stimmt aber alles gar nicht.“ Er garantiere, dass viele Studenten außerhalb der mathematischen und naturwissenschaftlichen Studienfächer in dieser großen Zahl nicht mehr gebraucht werden.
Beeendetes Studium als wirksamer Schutz gegen Arbeitslosigkeit
Von solchen Einschätzungen grenzen sich Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) und ihre Kollegen in den Ländern ab. Viele Experten stehen auf ihrer Seite. So sagt Frank Ziegele, Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung: „Der Wunsch nach Hochschulbildung ist ungebrochen. Wer jetzt wieder eine Debatte über ein ,Zuviel‘ an Akademikern lostritt, tut damit niemandem einen Gefallen.“ Die OECD verweist auf aktuelle Zahlen, wonach fast jeder Hochqualifizierte – zum Beispiel mit Studienabschluss – einen Job habe. Ein beendetes Studium ist demnach der zuverlässigste Schutz gegen Arbeitslosigkeit, so das Fazit.
Allerdings schaffen nicht alle Studenten einen Abschluss. Nach Einschätzung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung scheitert jeder Dritte an Unis und jeder Vierte an Fachhochschulen. Besonders hoch liege die Abbrecherquote ausgerechnet in den Technikfächern: etwa im Studiengang Bauingenieurwesen mit 51 Prozent der Studenten, in Mathematik mit 47 Prozent.
Lob für duales Ausbildungssystem
Doch auch ohne Studienabschluss haben junge Menschen in Deutschland gute Chancen auf einen Job. Wer hierzulande die Schule hinter sich hat, rutscht vergleichsweise gut in den Arbeitsmarkt. Der OECD-Bericht macht dafür das duale Ausbildungssystem verantwortlich – also die Kombination aus betrieblicher Lehre und Berufsschule. So lag nach den Vergleichsdaten für 2014 die Quote der 20- bis 24-Jährigen, die sich in einem Arbeitsverhältnis oder in einer Aus- oder Weiterbildung befanden, hierzulande bei fast 90 Prozent. Im Durchschnitt von 33 OECD-Staaten lag sie hingegen nur bei etwa 82 Prozent.
Das duale Ausbildungssystem kann nach Ansicht der Organisation auch bei der Integration von Flüchtlingen helfen. mit dpa
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