Spanien steuert auf Neuwahlen zu
Ein neue Regierung ist in Spanien nicht in Sicht. Wie der politische Stillstand die dringend nötigen Reformen bremst.
Schlimmer hätte es für das Euro-Krisenland Spanien, das Stabilität und Reformen braucht, kaum kommen können: Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy hat nach seiner Wahlschlappe im Dezember praktisch keine Chance, eine neue Regierung zu bilden. Die oppositionellen Sozialisten mit ihrem Spitzenkandidaten Pedro Sánchez sind derweil so zerstritten, dass auch eine Mitte-links-Regierung unter Einschluss der neuen und mächtigen Protestbewegung Podemos in immer weitere Ferne rückt.
Ein monatelanger Machtkampf droht das Königreich, welches immer noch unter der Schuldenkrise und dramatischer Massenarbeitslosigkeit leidet, zu lähmen. Ein Ringen, das nach derzeitiger Lage wenig Aussicht auf einen schnellen Sieger, aber jetzt schon zwei Verlierer hat: Den spanischen Wähler, der hilflos mit ansehen muss, wie das angeschlagene Land regierungslos in das Jahr 2016 taumelt. Und die EU, die darum zittert, das Spanien, in dem leichte Hoffnung auf Erholung bestand, wieder von der Bahn abkommt.
Spanien: Rajoys Wiederwahl gilt als aussichtslos
Ende Januar will Rajoy, der seine absolute Mehrheit verlor und nun keinen Partner für eine zweite Amtszeit findet, den verzweifelten Versuch starten, vom Parlament erneut zum Regierungschef gewählt zu werden. Seine Wiederwahl sei „das Beste für das Land“, sagte er dieser Tage. Doch es gilt als aussichtsloses Unterfangen.
Vor allem, weil Rajoy nach vier Jahren umstrittener Austeritätspolitik, die er im Alleingang und ohne Dialog durchsetzte, viel verbrannte Erde und eine zornige Opposition hinterließ. Auch der Verdacht, dass Rajoy in Korruptionsfälle verwickelt ist oder diese zumindest deckte, trug zum Vertrauensbruch bei.
Wenn bis Ende März keine Regierung steht, muss Spaniens König und Staatsoberhaupt Felipe Neuwahlen ansetzen, die dann vielleicht Ende Mai stattfinden könnten. Ein Albtraum, der das südeuropäische Land, das sich bereits seit Sommer 2015 im Wahlkampf befindet, erneut in eine zermürbende und teure Stimmenschlacht stürzen könnte.
Politische Erstarrung ist jedoch das Letzte, was sich Spanien derzeit erlauben kann. Denn die tiefe Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch lange nicht überwunden: Spaniens Schuldenberg wächst weiter. Auf einem anderen Blatt steht, ob von einer neuen Mitte-links-Regierung unter Führung der Sozialisten mehr Sparsamkeit zu erwarten ist. Sozialistenchef Pedro Sánchez wie der Podemos-Vorsitzende Pablo Iglesias sind erklärte Gegner der EU-Austeritätspolitik, wollen die Defizitziele lockern und zum Beispiel die stark geschrumpften Etats für Arbeitsförderung, Bildung, Forschung und staatliche Investitionen wieder ausbauen.
Wenig Zweifel besteht darüber, dass ein Wandel in Spanien nottut. Denn die Konservativen von Rajoy haben, gemessen am Wahlergebnis, 71 Prozent der Bevölkerung gegen sich. Vermutlich auch, weil von einer wirtschaftlichen Erholung und Stabilisierung des Arbeitsmarktes in der Gesellschaft wenig zu spüren ist.
Die offiziellen Regierungsmeldungen über die „Schaffung von hunderttausenden neuen Jobs“ fallen in sich zusammen, wenn man weiß, dass 90 Prozent dieser Arbeitsplätze „Müll-Zeitverträge“ sind, die nur einige Tage, Wochen oder Monate bestehen. Die offizielle Arbeitslosenrate ist mit 21 Prozent weiterhin schockierend hoch. Das gilt erst recht für die Quote der von Armut bedrohten Spanier, die unter Rajoy auf nahezu 30 Prozent wuchs. Hunderttausende junge Leute, die keinen vernünftigen Job und kein Auskommen haben, müssen deswegen ihr Glück im Ausland suchen.
Auch sonst brennt es. Etwa in der Rentenkasse. Sie wurde von der konservativen Regierung ausgeplündert, um wenigstens die ältere Bevölkerung, aus der sich Rajoys Wähler vorwiegend rekrutieren, bei der Stange zu halten. Arbeit für eine neue Regierung gibt es mehr als genug. Umso schlimmer, dass nun in Spanien, durch dieses quälend lange Machtgerangel, wertvolle Zeit verrinnt.
Die Diskussion ist geschlossen.