Steinmeiers Wutrede wird zum Hit: "Wer ist hier der Kriegstreiber?"
Steinmeiers Wutrede wird im Internet zum Hit. Dahinter steckt mehr: Wie sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier gegen Kritiker und den Vorwurf, ein Kriegstreiber zu sein, wehrt.
Es gibt Situationen im Leben, in denen auch ein erfahrener Diplomat alles Diplomatische fahren lässt. Er – ein Kriegstreiber? Frank-Walter Steinmeier steht auf dem Alexanderplatz, einer der hässlichsten Ecken im Herzen Berlins, und schreit gegen eine Wand aus Trillerpfeifen und Schmährufen an. „Hätten wir auf Leute wie die da hinten gehört“, tobt der Außenminister, „wäre Europa heute kaputt.“
Wutrede von Steinmeier: "Ihr seht nicht, was ist"
Auf die Plakate, die sie in die Höhe recken, haben die Demonstranten Parolen wie „Weg mit EU und Nato“ oder „Dialoge statt Panzer“ gemalt. Steinmeier aber scheint das nur noch mehr anzustacheln. „Ihr solltet euch überlegen, wer hier die Kriegstreiber sind“, brüllt er in die Menge, als könne er all die Putin-Versteher, die notorischen Amerika-Hasser und die, die aus purer Lust am Krawall mit ihnen krakeelen, schon durch seine schiere Lautstärke stoppen.
„Ihr seht nicht, was ist“, legt Steinmeier mit bebender Stimme und rotem Kopf noch nach. „Die totgeglaubten Geister des Kalten Krieges kehren zurück.“
Steinmeier-Wutrede innerhalb weniger Stunden 500 000 Mal angeklickt
Auf den einschlägigen Plattformen im Internet ist das Video mit dem furiosen Auftritt des Außenministers der Renner. Ein langes, staatstragendes Steinmeier-Interview im ZDF zur Lage in der Ukraine wurde in den letzten beiden Wochen nur etwas mehr als 1300 Mal angeklickt, die kurze Sequenz vom Alexanderplatz innerhalb weniger Stunden dagegen fast 500 000 Mal.
Sie zeigt, wie groß der Druck ist, unter dem Steinmeier seit dem Beginn der Krise steht – und wie verletzlich auch ein Politiker sein kann, den sonst so leicht nichts aus der Bahn wirft. Er – ein Kriegstreiber?
Parteifreunde und Koalitionspartner fallen Steinmeier in den Rücken
Als Frank-Walter Steinmeier im Dezember zum zweiten Mal Außenminister einer Großen Koalition wurde, war das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau noch intakt und die Agenda für die nächsten vier Jahre von überschaubarer Brisanz. Mittlerweile jedoch sitzt der 58-Jährige zwischen allen Stühlen. Obwohl er keine Gelegenheit auslässt, um zwischen den Lagern zu vermitteln, schwelt der Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze unvermindert weiter.
In der eigenen Partei fallen ihm prominente Altvordere wie Gerhard Schröder, Helmut Schmidt und Egon Bahr in den Rücken, die für Steinmeiers Geschmack etwas zu viel Nachsicht mit Wladimir Putin üben – und dann nörgelt einer der Koalitionspartner in Gestalt des CSU-Mannes Markus Ferber auch noch, der Außenminister produziere mit seinen Reisen nach Kiew oder Donezk nichts als Spesen.
Dieses Feuer haben Angela Merkel und Horst Seehofer zwar ebenso rasch wie empört ausgetreten. Was Steinmeier im Moment noch so alles aushalten muss, lässt allerdings ein aktueller Eintrag auf seiner Facebook-Seite erahnen, in dem er ankündigt, Beiträge in vulgärer, hasserfüllter oder gar rassistischer Sprache künftig zu streichen: „Auf dieser Seite wird sachlich und kontrovers diskutiert.“
Frank-Walter Steinmeier gehört zu den beliebtesten deutschen Politikern
Der Zorn, der sich auf seinem digitalen Alexanderplatz bisher artikuliert hat, steht allerdings im krassen Gegensatz zu den Popularitätswerten, die die Institute regelmäßig für Steinmeier messen. Zwischenzeitlich lag der Außenminister in einigen Umfragen sogar schon vor Bundeskanzlerin Angela Merkel, was seit zwei Jahren keinem deutschen Politiker mehr gelungen ist.
Offenbar kommt seine besonnene, unaufgeregte Art an, zumal in außenpolitisch unruhigen Zeiten. Der Mann, der die SPD vor vier Jahren als Spitzenkandidat zu ihrem bislang schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl geführt hat, ist heute der mit Abstand populärste Sozialdemokrat der Republik.
Steinmeier: Deutschland ist zu groß, um sich herauszuhalten
In der Sache selbst verfolgen die Deutschen die Politik des Außenministers eher skeptisch: Nach einer vom Auswärtigen Amt und der Körber-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie plädieren 60 Prozent der Bundesbürger dafür, Deutschland solle sich in internationalen Krisen lieber zurückhalten, das sind fast doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren.
Steinmeier selbst dagegen hat sein Credo Anfang Februar vor der Münchner Sicherheitskonferenz genau umgekehrt formuliert: Eine Kultur der militärischen Zurückhaltung, warnte er da, dürfe nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden. „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren.“
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