Terror in Berlin: Wenn die Politik die Kontrolle verliert
Ein Salafist soll das Attentat in Berlin verübt haben. Er war den Behörden als Gefährder bekannt und saß schon in Abschiebehaft. Hat der Staat also versagt?
Um zu erkennen, auf welchem schmalen Grat auch sie sich bewegt, muss Angela Merkel nur nach Frankreich schauen. Bis zu den Anschlägen in Paris vor gut einem Jahr war François Hollande ein mittelmäßig beliebter, aber doch fest in seinem Sattel sitzender Präsident. Anschließend schnellten seine Popularitätswerte sogar nach oben, weil er mit seiner harten Linie im Kampf gegen den Terror den Nerv der Franzosen traf. Mittlerweile jedoch ist Hollande politisch gescheitert: Er hat geredet, aber nicht geliefert. Erst vor wenigen Tagen hat die Regierung den Ausnahmezustand bis Juli verlängert.
Horst Seehofers Forderung ist eine Selbstverständlichkeit
Von derart drastischen Maßnahmen ist Deutschland nach dem Attentat vom Breitscheidplatz zwar so weit entfernt wie von einem Wechsel der Verantwortlichkeiten im Kanzleramt. Mit der Beschwichtigungsrhetorik der vergangenen drei Tage allerdings wird die Koalition die Menschen kaum beruhigen können, dazu ist von den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht über die Anschläge von Würzburg und Ansbach bis zu den zwölf Toten von Berlin einfach zu viel passiert in diesem Jahr. Der neue Verdächtige Anis Amri gehört nach allem, was man bisher weiß, zwar nicht zu den Flüchtlingen, die unkontrolliert und in gewaltiger Zahl über die Balkanroute gekommen sind – aber macht das noch einen Unterschied? Ein Islamist ist ein Islamist, egal wie lange und mit welchem Aufenthaltsstatus er sich in Deutschland aufhält.
Horst Seehofers Aufforderung an Angela Merkel, ihre Flüchtlingspolitik noch einmal zu überdenken und neu zu vermessen, ist deshalb keine populistische Provokation, sondern eine schlichte Selbstverständlichkeit. Das Attentat vom Montag wird Deutschland vielleicht mehr verändern, als wir es im Moment wahrhaben wollen, es hat auch uns unsere Verwundbarkeit gezeigt und eine Reihe von Rissen in unserer hochgelobten Sicherheitsarchitektur. Wie, zum Beispiel, kann es sein, dass die Nachrichtendienste einen Mann aus den Augen verlieren, den mehrere Behörden unabhängig voneinander als Gefährder eingestuft haben? Warum wird dieser Mann in Deutschland noch geduldet, obwohl er straffällig geworden ist, sein Asylantrag längst abgelehnt wurde und er offenbar sogar schon in Abschiebehaft saß? Es ist dieser Kontrollverlust, dieses Gefühl des Ausgeliefertseins, das Wähler aus fast allen politischen Lagern in die Arme der AfD treibt. Hat die Kanzlerin in ihrem Eid nicht geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden?
Deutschland hat ein Sicherheitsproblem
Mit ihren Asylpaketen haben Union und SPD zwar versucht, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, nämlich weiter Flüchtlinge aufzunehmen, dabei aber genauer zwischen denen zu trennen, die unsere Hilfe tatsächlich benötigen, und denen, die nur auf gut Glück kommen. Das aber heißt dann auch, dass ein einschlägig bekannter Salafist unverzüglich abgeschoben werden muss oder zumindest in Abschiebehaft bleibt – schließlich gilt Tunesien inzwischen als sicheres Herkunftsland. Und das heißt auch, dass jeder Asylbewerber so genau unter die Lupe genommen werden muss, dass am Ende klar ist, mit wem Deutschland es da zu tun hat. Offenbar hat Anis Amri seine Identitäten gewechselt wie andere Leute ihre Wäsche – obwohl die Terrorfahnder ihn schon seit Monaten auf ihrem Radar hatten.
Neun Monate vor der Bundestagswahl ist zwar die Zahl der Flüchtlinge zurückgegangen, die es bis nach Mitteleuropa schaffen, damit allein aber wird die Politik das verloren gegangene Vertrauen sicher nicht zurückgewinnen. Deutschland, das anderen gerne mit erhobenem Finger den Weg weist, hat ein Integrationsproblem – und ein Sicherheitsproblem. So gesehen geht es Angela Merkel nicht viel besser als François Hollande. Auch sie hat noch nicht geliefert.
Die Diskussion ist geschlossen.
Dieser Anschlag gehört zum allgemeinen Lebensrisiko. Dagegen ist kein Kraut gewachsen.
Solche Täter brauchen kein Netzwerk und auch keine große Logistik.
Der Mann saß schon in Anschiebehaft und war als Gefährder bekannt, da stellt sich die Frage, warum wurde er wieder entlassen,anstatt ihn abzuschieben!
Rudi Wais stellt eine richtige Frage: Warum konnte der gekannte Gefährder so handeln, wie er es getan hat? Und er weist zu Recht darauf hin, dass im Asylverfahren geklärt werden muss, wer Asyl beantragt. Nur so kann korrekt entschieden werden, ob der Antrag berechtigt ist oder nicht.
Allerdings greift es viel zu kurz, die Lösung ausschließlich in der Asyl- oder Flüchtlingspolitik zu suchen. Extremisten jedweder Couleur sind eine Gefahr. Mir ist es egal, ob mich ein Islamist tot fährt, ein Linksextremist mich mit einem (verirrten) Steinwurf tötet oder ein entfesselter Nazimob mich tottrampelt. Ich möchte das alles nicht. Wer das Sicherheitsproblem nur bei den Flüchtlingen verortet, freut sich, dass er nicht zur klassischen Zielgruppe der Links- oder Rechtsextremisten gehört. Extremismus gehört bekämpft. In jeder Spielart. Rechtzeitig. Vorbeugend. Ich vermag nicht zu verstehen, warum immer nur nach polizeilichen und sicherheitsdienstlichen Lösungen gerufen wird, Rufe nach Prävention oder Ausstiegsprogrammen kaum zu hören sind. Mein Sicherheitsgefühl würde steigen, wenn es weniger (potentielle) Kriminelle gäbe, nicht weniger (bekannte) Kriminalfälle.
Ausführlicher und mit einem Hinweis auf eine Unrichtigkeit in der Berichterstattung unter
http://az-beobachter.blogspot.de/2016/12/rudi-wais-kontrollverlust.html