Theresa May macht keine halben Sachen
Premierministerin Theresa May erklärt, wie sie den Austritt Großbritanniens aus der EU gerne hätte. Sie ist entschlossen, die Sache mit allen Konsequenzen durchzuziehen. Worauf sie immer noch keine Antwort hat
Allein der gewählte Ort für die Brexit-Grundsatzrede bot eine gewisse Ironie. Im palastartigen Lancaster House, nicht weit vom Machtzentrum Westminster entfernt, hielt im Jahr 1988 die konservative Premierministerin Margaret Thatcher einen Lobgesang auf den europäischen Binnenmarkt und pries den unbeschränkten Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Gestern, fast 29 Jahre später, verkündete die jetzige und ebenfalls konservative Regierungschefin Theresa May in demselben prachtvollen Herrenhaus das Ende dieser Mitgliedschaft. Nun ist klar: Großbritannien strebt einen klaren Bruch mit Brüssel an.
Zugleich erklärte May zum ersten Mal seit dem Referendum im Juni und ihrer Amtsübernahme zumindest ihre groben Pläne für die anstehende Scheidung. Mittlerweile sprechen Beobachter nicht mehr so viel von einem harten Brexit, sondern bevorzugen, ihn „sauber“ zu nennen, was im Ergebnis allerdings dasselbe heißt: Es werde „keine Teil-Mitgliedschaft in der EU“ geben oder einen Zustand „halb drinnen, halb draußen“, machte May deutlich. Ihre Botschaft: Das Königreich verlässt die Gemeinschaft und das in vollem Ausmaß, insbesondere, um die volle Kontrolle über die Einwanderungspolitik und die nationale Souveränität zurückzugewinnen.
Das waren die Kernargumente der Austrittsbefürworter vor der Volksabstimmung. Ein Großteil entschied sich für den Bruch mit Brüssel, um die Zuwanderung aus den EU-Staaten einzuschränken. Die europäischen Partner betonten seitdem beharrlich, dass es den vollen Zugang zum Binnenmarkt nur im Paket mit den vier Grundfreiheiten gebe, zu denen auch die Personenfreizügigkeit gehört. Deshalb, so konstatierte May, könne das Königreich nicht Teil des gemeinsamen Wirtschaftsraums bleiben. Stattdessen will sie einen umfassenden Freihandelsvertrag mit Brüssel schließen – und damit den „größtmöglichen Zugang“ zum gemeinsamen Markt erreichen. Die Britin trat sehr selbstbewusst auf. Etliche Male sprach sie von Großbritanniens Weg hin zu einer „globalen“ Handelsmacht – es schien wie eine Flucht nach vorn.
Brexit: Theresa May präsentiert Brexit-Fahrplan
„Kein Deal ist besser für Großbritannien als ein schlechter Deal“, sagte sie und warnte abermals ihre Partner auf der anderen Seite des Ärmelkanals davor, das Königreich für die Brexit-Entscheidung mit einem harten Verhandlungskurs zu bestrafen. Dann müsste ihr Land über das bisherige Wirtschaftsmodell nachdenken – eine Drohung, die Befürchtungen befeuert, die Insel könnte durch eine Absenkung der Körperschaftssteuer zum Steuerparadies werden, um so Unternehmen und Investoren anzulocken. Gleichwohl betonte May, es sei in Großbritanniens „nationalem Interesse, dass die EU Erfolg hat“.
Überraschend kam ihr Versprechen, den mit der Union ausgehandelten Deal dem Unterhaus und dem Oberhaus zur Abstimmung vorzulegen. Es darf als Zugeständnis an Kritiker verstanden werden, die ein Mitspracherecht forderten. Weil die Konservativen eine Mehrheit im Parlament besitzen, kann May auf eine Bestätigung ihres Kurses hoffen. Doch was passiert, sollte das Parlament das Abkommen trotzdem ablehnen? Diese Antwort blieb die Regierungschefin den Zuhörern schuldig. Die Premierministerin verriet auch weder Details über den künftigen Status von EU-Einwanderern auf der Insel oder den tausenden Briten auf dem Kontinent, noch gab sie etwa einen genauen Fahrplan bekannt oder machte Angaben zu künftigen Zahlungen in den EU-Haushalt. Klar ist aber, dass die Regierung bis Ende März offiziell den Scheidungsantrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags von Lissabon stellen will, womit der auf zwei Jahre befristete Austrittsprozess beginnt.
Wirtschaftsvertreter, die täglich die Bedeutung des vollen Zugangs zum Binnenmarkt betonen, zeigten sich sowohl frustriert als auch besorgt. May beugt sich allerdings den Europaskeptikern in ihrer eigenen Tory-Partei, die seit Monaten die völlige Abkapselung von Brüssel fordern. Ein weicher Brexit sei kein Brexit, sagen sie. Und verwiesen auf die Mehrheit der Bevölkerung, die am 23. Juni für den Austritt gestimmt hatte.
Knapp die Hälfte der Briten aber wollte eben in der Gemeinschaft bleiben. Sie blieben auch in Theresa Mays Rede größtenteils ignoriert. Die tiefen Gräben in der Gesellschaft bleiben.
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