Sie gibt nicht auf - Theresa May übersteht Misstrauensvotum
Premierministerin Theresa May bleibt auch nach der vernichtenden Niederlage im Amt. Eine Mehrheit im Parlament steht hinter ihr. Aber wie lange noch?
Theresa May mag an diesem Abend gewonnen haben. Doch allzu groß scheint die Freude bei der britischen Premierministerin nicht zu sein. Sie wirkt müde, als sie im Parlament an das Pult tritt. Zuvor hat der Sprecher verkündet, dass der von Oppositionschef Jeremy Corbyn gestellte Misstrauensantrag gegen die Regierung gescheitert ist. Eine Mehrheit von 325 zu 306 Stimmen der Abgeordneten hat May das Vertrauen ausgesprochen. Woraufhin die Regierungschefin ihre Hand in Richtung Opposition ausstreckt. Sie lade die Vorsitzenden der anderen Parteien dazu ein, sich einzeln mit ihr zu treffen, sagt sie, bemüht, sich kämpferisch zu präsentieren.
So zeigt sie sich auch, als sie gegen 23 Uhr mitteleuropäischer Zeit eine Regierungserklärung abgibt. Es sei ihre Pflicht, Großbritannien aus der EU zu führen, sagt sie. Am Montag will sie dem Parlament darlegen, wie es weitergehen soll, um einen chaotischen EU-Austritt in zehn Wochen doch noch zu verhindern. Zuvor will sie sich mit den anderen Parteien im Unterhaus beraten.
Spürbar ist jedoch noch immer die Demütigung vom Abend zuvor, als eine unerwartet große Mehrheit der Abgeordneten das Brexitabkommen abgelehnt hat. Auch der Sieg der Vertrauensabstimmung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die britische Regierung in ihrer bislang schwersten aller ohnehin erlebten politischen Krisen steckt. Dementsprechend übergießt die britische Presse die Regierung am Mittwoch mit Spott und Häme. „Kein Deal, keine Hoffnung, keine Ahnung, kein Vertrauen“, fasst der Daily Mirror Mays Debakel auf der Titelseite zusammen. Das Boulevardblatt The Sun befindet, der Deal sei „so tot wie ein Dodo“ und vergleicht das Abkommen damit mit einem ausgestorbenen Vogel.
Nach Niederlage für Brexit-Vertrag: Keine Lösung für EU-Austritt in Sicht
71 Tage vor der Scheidung von Brüssel am 29. März weiß niemand auf der Insel, wie es weitergeht. Die Meinungen sind so zerfasert, dass keiner der unzähligen Lösungsvorschläge im Parlament eine Mehrheit bekommen würde. Und Umfragen zufolge hat die Bevölkerung ihre Meinung kaum geändert.
Theresa May liefert zudem auch am Mittwoch keine Antworten auf die Fragen der Zukunft. „Ist es nicht der Fall, dass jeder andere ehemalige Premierminister, der eine Niederlage solchen Ausmaßes erlebt hätte, zurückgetreten wäre?“, fragt Corbyn, der auf eine Neuwahl spekuliert. Da die Regierungschefin in gewohnter Standfestigkeit nicht plant, freiwillig aus der Downing Street auszuziehen, hatte der Labour-Vorsitzende nach der Schlappe von May keine andere Wahl als ein Misstrauensvotum – auch ohne eine echte Erfolgschance.
Gefahr eines "No Deal"-Brexits so groß wie nie
Obwohl rebellische Hinterbänkler in den konservativen Reihen erst im Dezember versucht haben, ihre Chefin zu stürzen, und offen sowohl gegen Mays Person als auch ihre Politik meutern, wollen die Brexit-Hardliner nicht das Risiko eingehen, dass am Ende Labour die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte. Der lebenslange EU-Skeptiker Corbyn steht derweil unter massivem Druck seiner eigenen Partei, in der die Forderungen nach einem zweiten Referendum immer lauter werden. Er hat das bislang stets abgelehnt. Einen vernünftigen Plan für einen Labour-Brexit hat er aber nicht, sondern setzt darauf, dass die EU das Abschiedspapier nachverhandeln werde. Was Brüssel mehrfach abgelehnt hat.
In Großbritannien regiert längst das Chaos
Die Position von May könnte schwächer nicht sein. Beobachter zeigen sich skeptisch, dass sie die kommenden Tage politisch überlebt. Doch auf die Konservativen wurden schon unzählige Abgesänge verfasst. Theresa May hielt durch. Am Montag muss sie dem Parlament einen Plan B präsentieren. Wie dieser aussehen könnte, bleibt vorerst unklar. Als wahrscheinlich gilt, dass sie versuchen wird, parteiübergreifend eine Mehrheit für einen Kompromiss zu finden, um dann bei der EU um weitere Zugeständnisse zu bitten. Dann würde das Abkommen abermals im Parlament landen.
Auch am Mittwoch versammeln sich Brexit-Befürworter und -Gegner vor dem Parlament. Es herrscht ohrenbetäubender Lärm, dutzende blaue EU-Flaggen flattern über den Köpfen der Aktivisten. „Der Wahnsinn muss gestoppt werden“, sagt die 52-jährige Rose. „Wir ruinieren uns selbst unsere Zukunft.“ Sie lebt in der Grafschaft Kent und will das epische Brexit-Drama nicht länger vom Sofa aus verfolgen. Sie ist wütend. Und gehört damit keineswegs zur Minderheit.
Auf der anderen Seite fühlen sich die Brexit-Anhänger von der Regierung betrogen. „Wir wollten raus aus der EU, aber mit einem Deal wie jenem von May bleiben wir Vasallen von Brüssel“, findet ein Protestierender, der sich als Brian vorstellt. „Wir sind eine stolze Nation“, schiebt er wie zur Erklärung nach. Und zeigt zum Parliament Square, wo die Statue von Winston Churchill trotzig gen Westminster blickt. Der Ex-Premier könnte als Erinnerung an die große Zeit des Vereinigten Königreichs dienen. Doch auf der Insel regiert längst das Chaos.
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