Unabhängigkeit: Puigdemont setzt noch mal auf Verhandlungen
Der Regionalpräsident will den Prozess zur Unabhängigkeitserklärung vorerst aussetzen und mit Madrid in Dialog treten. Doch die spanische Regierung lehnt das mit einer Drohung ab.
Drinnen tagt das katalanische Parlament. Draußen, vor den Toren des Parlamentsgeländes, warten Tausende von Befürwortern der Unabhängigkeit. Zuweilen hört man Sprechchöre. „Independència“ (Unabhängigkeit) und „Hola, republica“ (Hallo, Republik) steht auf Transparenten zu lesen.
Dann tritt endlich, mehr als eine Stunde später als geplant, Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont ans Rednerpult im katalanischen Parlament in Barcelona. Die Menge auf der Straße starrt gebannt auf einen Großbildschirm. Genauso, wie die ganze spanische Nation, die vor dem Fernsehschirm sitzt, und den Atem anhält. Erst nach langer Vorrede, in der Puigdemont, wie üblich, Spanien scharf angreift und behauptet, dass Katalonien seit Jahren von Madrid ungerecht behandelt wird, kommt er zur Sache: dem Unabhängigkeitsreferendum am 1.Oktober. Die Urnen hätten „Ja“ zur Unabhängigkeit gesagt – und dies sei der Weg, den er bereit sei zu gehen, so Puigdemont.
Puigdemont: Die Urnen sagen „Ja“ zur Unabhängigkeit
Er geht nicht darauf ein, dass dieses Referendum vom spanischen Verfassungsgericht verboten und weder von Spaniens Regierung noch vom Rest der demokratischen Welt anerkannt wurde. Und er sagt: „Ich akzeptiere den Auftrag des Volkes, damit Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird.“ Minutenlangen spenden die Separatisten im katalanischen Parlament Beifall. Auch draußen, auf der Straße vor den Großbildschirmen, jubeln die Menschen. Doch dann kommt die Einschränkung und man sieht lange Gesichter unter den Anhängern der Abspaltung: Puigdemont schlägt vor, den Prozess zur Unabhängigkeitserklärung für einige Wochen auszusetzen, um einen Dialog zu beginnen und zu einer Verhandlungslösung zukommen.
Puigdemonts Aussage lässt sich als ein rhetorischer Klimmzug interpretieren, der nach Einschätzung von Beobachtern folgendermaßen zu verstehen ist: Der katalonische Regionalpräsident hält im Prinzip am Unabhängigkeitsplan fest, weil er sich durch das Referendum dazu legitimiert sieht. Er proklamiert aber am Dienstagabend noch nicht offen die Abspaltung mit allen Konsequenzen – offenbar ein Zugeständnis an all jene in Katalonien, Spanien und Europa, die Puigdemont in den letzten Tagen bekniet haben, die Atombombe der unilateralen Abspaltung, wie es manche nannten, noch nicht sofort zu zünden. Also eine Art Unabhängigkeitserklärung light.
Puigdemont unterzeichnet "ausgesetzte" Unabhängigkeitserklärung
Für zusätzlichen Interpretationsspielraum sorgte, dass Puigdemont nach seiner Rede eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete, die aber, wie angekündigt, ausgesetzt ist. Puigdemonts Unabhängigkeitsfront aus der Mehrparteien-Allianz „Junts pel Si“ (Gemeinsam für Ja) und der kleinen Anti-System-Partei CUP hatte in der Kammer vor zwei Jahren mit 47,8 Prozent der Stimmen die knappe absolute Mehrheit errungen. Eine Mehrheit, mit der die Separatisten auch jenes einseitige und damit aus spanischer Sicht illegale Unabhängigkeitsreferendum beschlossen hatten, über dessen Konsequenzen Puigdemont am Dienstagabend informierte. Bei dem Referendum, das trotz eines Verbotes des spanischen Verfassungsgerichtes am 1. Oktober stattfand, hatten nur 43 Prozent der Berechtigten mitgemacht. Die spanientreuen Parteien hatten dieses Plebiszit boykottiert.
Deswegen stimmten fast nur die Unabhängigkeitsanhänger ab. 90 Prozent der Teilnehmer antworteten auf die Frage „Soll Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik werden?“ mit „Ja“.
Auch wenn dies nicht dem wahren Meinungsbild in der katalanischen Gesellschaft entspricht, die allen Erhebungen zufolge ziemlich genau in der Mitte geteilt ist: Kataloniens Separatistenparteien hatten nie einen Zweifel daran gelassen, dass dies genug sei, um ihre Unabhängigkeitspläne voranzutreiben.
Rechtsbeugung, Ungehorsam und Rebellion - laufende Ermittlungen gegen Regionalpräsident
Bereits im September hatte die Unabhängigkeitsfront im Parlament beschlossen, dass ein Sieg der Ja-Stimmen den Weg zur Unabhängigkeit pflastern werde. Dass Spaniens Verfassungsgericht das Referendum wie auch das dazugehörige Referendumsgesetz für illegal erklärt hatte, stören Puigdemont und seine Weggefährten nicht.
Spaniens Verfassung und Gerichtsbarkeit wird von der katalanischen Regierung nicht mehr anerkannt. Deswegen laufen bereits strafrechtliche Ermittlungen gegen Puigdemont und andere Verantwortliche der Unabhängigkeitsbewegung. Ihnen könnte wegen Rechtsbeugung, Ungehorsam und Rebellion der Prozess gemacht werden. Doch auch die Aussicht ins Gefängnis zu wandern, schreckt Puigdemont nicht. Wir werden tun, wofür wir angetreten sind , bekräftigt er. Der Unabhängigkeitsprozess werde auch ohne ihn weitergehen.
Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy drohte bereits an, dass Madrid Artikel 155 der Verfassung anwenden könnte, wenn der Unabhängigkeitsplan tatsächlich umgesetzt werde. Mit diesem Verfassungspassus könnte die spanische Zentralregierung komplett die Kontrolle in der aufmüpfigen Region übernehmen, die Regionalregierung absetzen, das Parlament auflösen und Neuwahlen in Katalonien durchsetzen.
Dialog und Verhandlungen lehnt Spaniens Regierung weiterhin ab. Mit Rechtsbrechern, so tönt Madrid, könne man nicht verhandeln.
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