Warum Italiens Schuldenstreit Europa gefährdet
Im Schuldenstreit der Regierung von Rom mit Brüssel geht es nicht nur um Geld. Die Stimmung in der Bevölkerung ist explosiv
Der italienische Schatzminister Giovanni Tria versuchte, noch an einigen Stellschrauben zu drehen, aber vergeblich. Nicht der Verantwortliche für die Finanzen in der italienischen Regierung gibt in Rom den Ton an, sondern die Parteichefs der Regierungsparteien. Bis Dienstagnacht hatte die EU-Kommission dem Populisten-Bündnis aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Zeit für Korrekturen gegeben, nachdem sie den Budget-Entwurf vor drei Wochen abgelehnt hatte.
Schon vor der entscheidenden Sitzung deutete alles auf Konfrontation hin. Entgegen den Abmachungen mit der Vorgängerregierung plant die Regierung von Giuseppe Conte für 2019 eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und muss deshalb mit einem EU-Strafverfahren rechnen, das noch im November eingeleitet werden könnte. Italien trägt eine Schuldenlast von 2,3 Billionen Euro oder 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die zusätzliche Neuverschuldung und mögliche Reaktionen der Finanzmärkte gelten als schwere Hypothek für die gesamte Eurozone, weil Italien als drittgrößte Volkswirtschaft systemrelevanten Charakter hat. Doch Vizeministerpräsident und Sterne-Chef Luigi Di Maio sowie Lega-Präsident und Innenminister Matteo Salvini blieben stur.
Matteo Salvini sagt: „Europa ist mir scheißegal“
Einerseits möchten sie mit den Zusatzausgaben die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer blockieren, mit denen die steigenden Zinsen für die Staatsschulden bezahlt werden sollten. Vor allem aber wollen die Politiker mit der Neuverschuldung ihre Wahlkampfversprechen wahr machen. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat eine Grundsicherung von 780 Euro im Monat für Arbeitslose angekündigt, die Lega die Reduzierung des Renteneintrittsalters sowie Steuersenkungen versprochen.
„Me ne frego dell’Europa“ – „Europa ist mir scheißegal“. So lautet seit Monaten das Mantra des rauflustigen Innenministers Salvini, der sich nicht zuletzt wegen seiner gnadenlosen Ausländerpolitik immer mehr als der tonangebende Faktor im Regierungsbündnis erweist. Das Problem für Europa ist: Die Parteichefs und Minister Salvini und Di Maio wissen auch acht Monate nach den Parlamentswahlen einen Großteil der italienischen Wähler hinter sich. Beide Parteien liegen in Umfragen derzeit jeweils bei etwa 30 Prozent der Stimmen.
Die Zustimmung gilt auch ganz konkret für die Haushaltspläne. Einer Umfrage zufolge befürworten 59 Prozent der Italiener den Haushaltsentwurf der Regierung, vor allem um die Wirtschaft anzukurbeln. Über die finanzpolitischen Folgen, mit denen sich selbst Experten schwertun, ist die öffentliche Meinung in Italien gespalten.
Die Propaganda der italienischen Populisten tut ihr Übriges
Gewiss spielt dabei die politische Propaganda beider Parteien gegen „Europa“ eine Rolle. Salvini etwa lässt kaum eine Gelegenheit aus, um auf die ausgeprägte Vorliebe von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für alkoholische Getränke hinzuweisen. Die Propaganda fällt auf fruchtbaren Boden. Der Beginn der Entfremdung des EU-Gründungsmitglieds Italien begann mit der Wirtschafts- und Finanzkrise und der von Brüssel im Anschluss vorgegebenen Sparpolitik.
Dass diese notwendig geworden war, weil italienische Regierungen in den siebziger und achtziger Jahren auf unverantwortliche Weise Schulden machten, fand kaum Beachtung. Obwohl Brüssel seit sechs Jahren Italiens Finanzplanungen wieder mit Entgegenkommen behandelt hat, wirken die Krisenjahre und das als gnadenlos empfundene Spardiktat bis heute nach.
Die Italiener entfremden sich schon lange von Europa
Der zweite wesentliche Faktor bei der Entfremdung ist die Flüchtlingspolitik. Während sich Italien als Mittelmeer-Anrainer gezwungen sah, zwischen 2014 und 2017 mehr als 600.000 Immigranten aufzunehmen, von denen viele nach Norden weiterzogen, bemängelten Politiker aller Couleur in Italien mangelnde Solidarität der EU-Partner. Eine verabredete Quoten-Regelung wurde nie entsprechend umgesetzt.
Der Umfrage Eurobarometer zufolge würden bei einem Referendum derzeit nur 44 Prozent der Italiener für einen Verbleib in der EU stimmen. Das ist der niedrigste Wert unter allen Mitgliedsländern. Eine Rolle spielt dabei wohl auch das traditionell besonders geringe Vertrauen der Italiener in den eigenen Staat und dessen Institutionen. Der gemeinsame Kitt der Regierungskoalition aus linken und rechten Populisten ist heute ein Feindbild. Es trägt den Namen Europa.
Fährt Italien mit Karacho gegen die Wand? Ein Kommentar zum italienischen Schuldenstreit.
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