Warum nur ist Deutschland so politisch überkorrekt?
Das ZDF entschuldigt sich für ein braunes Hemd. Ein Kabarettist muss sich rechtfertigen, weil er Witze über Islamisten macht. Warum nur ist dieses Land so politisch überkorrekt?
Haben Sie sich heute schon geärgert? So richtig empört? Nein? Dann lesen Sie folgende wahre Geschichte. Ein Moderator im Fernsehen sagt einen Beitrag über Neonazis und Hooligans an. Und jetzt halten Sie sich fest: Er trägt dazu ein braunes Hemd! Braun! Hallo, gehts noch? Weiß der Mann denn nicht, dass braun die Nazi-Farbe ist? Unfassbar! Und dafür zahlen wir Gebühren. Empören Sie sich jetzt! Fordern Sie eine Entschuldigung vom Sender! Gehen Sie zu ihrem Computer und schreiben was ins Internet. Shitstürmen Sie, was die Tasten hergeben...
Wie bitte? Sie finden das übertrieben? Sie finden das lächerlich? Eben! Wir auch. Doch genau so ist es in dieser Woche Jochen Breyer vom ZDF-Morgenmagazin ergangen. Es gibt tatsächlich ein paar Zuschauer, die sich über die Klamottenwahl des Moderators beschwert haben. Nein, das allein wäre uns keinen Artikel wert. Nörgler, die den ganzen Tag das Internet vollschimpfen und auf das virtuelle Schulterklopfen anderer Nörgler hoffen, gehören zu unserem Alltag. Spannend wird es bei der Frage, wie man mit ihnen umgeht.
ZDF-Morgenmagazin entschuldigt sich für braunes Hemd
Das ZDF nimmt sie sehr ernst: Noch am Vormittag entschuldigt sich der Sender ganz offiziell für den vermeintlichen modischen Fehlgriff seines Mitarbeiters. Kein Witz! Um kurz vor elf tippt ein politisch total korrekter Morgenmagazin-Mitarbeiter folgende Zeilen und veröffentlicht sie auf Facebook: „Aufgrund einiger Zuschauer-Hinweise zur Kleidungswahl unseres Moderators Jochen Breyer möchten wir kurz aufklären, dass sein olivgrünes Hemd auf dem Bildschirm tatsächlich braun wirkte, dies aber von Jochen Breyer natürlich keinesfalls beabsichtigt war. Wir entschuldigen uns für den entstandenen Eindruck.“
Sie haben richtig gelesen: Das ZDF entschuldigt sich dafür, dass ein olivgrünes Hemd auf dem Bildschirm braun aussah und stellt sicherheitshalber gleich mal klar, dass der Moderator kein Nazi ist. Und damit ist der Punkt gekommen, wo wir uns tatsächlich empören. Das Internet ist großartig. Jeder kann mitreden. Jeder kann sich aufregen. Auch über uns Journalisten. Das ist eine gute Sache für die Demokratie. Und wer klug ist, nimmt jede Art von konstruktiver Kritik ernst. Aber das darf doch nicht heißen, dass wir uns bei jeder Pöbelei sofort in vorauseilendem Gehorsam kleinlaut wegducken. Wer das tut, gibt einer winzigen Minderheit von Aus-Prinzip-Krakeelern die Deutungshoheit.
Kabarettist Dieter Nuhr wird für Islamisten-Witze angefeindet
Der Fall mit dem Hemd ist nur ein Beispiel für die politische Überkorrektheit in Deutschland. Der Kabarettist Dieter Nuhr wird seit Tagen angefeindet und sogar bedroht, weil er Witze über Islamisten gemacht hat. Natürlich ist das politisch unkorrekt, aber genau das ist doch sein Job als Kabarettist. Und dann ist da ja auch noch die aufgeregte Diskussion um die Fußball-Nationalelf, die sich nach dem WM-Finale tatsächlich über die Gegner aus Argentinien lustig machte. Die Wutwelle rollte prompt los und alle schwammen mit – Medien und Politiker inklusive. Welch ein Fest für die Empörungsindustrie. Welch ein Irrsinn.
Wer sich jetzt übrigens über den ignoranten Journalisten beschweren will, der sich hier über die Empörer empört, dem sei sein Blick auf die Facebook-Seite des Morgenmagazins empfohlen. Dort quittieren zahlreiche Internet-Nutzer die absurde Entschuldigung für das olivbraune Hemd in angemessener Weise: mit Humor.
Ein Zuschauer schreibt: „Ich gestehe, bei der Fellfarbe eines meiner Hunde nicht aufmerksam genug gewesen zu sein. Da ich aber den Hund nicht erschießen möchte, werde ich ihn mit Feenstaub einsprühen – in der Hoffnung, dass dadurch die Energie der bösen Farbe aufgehoben wird.“ Andere fragen sich mit gespielter Sorge, ob nun auch Nutella oder Bräunungsstudios vorsorglich verboten werden. Solche Reaktionen zeigen: Im Internet sind eben nicht nur dumpfe Pöbler unterwegs. Sondern viele intelligente Menschen. Denen sollten wir mehr Aufmerksamkeit schenken als den notorischen Shitstürmern.
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