Was will die Türkei in Syrien?
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schickt Panzer über die Grenze nach Syrien. Damit könnte er nicht nur den USA in die Quere kommen.
Die türkische Militärintervention in Syrien markiert eine neue und möglicherweise gefährliche Phase in dem mehr als fünf Jahre andauernden Konflikt. Ankara schickt Panzer ins Nachbarland und meldet damit Ansprüche an, über die Zukunft Syriens mitzureden. Damit wiederum könnte Präsident Recep Tayyip Erdogan den USA in die Quere kommen.
Schon lange beklagt die Türkei die Unterstützung der Amerikaner für die Kurdengruppe PYD in Syrien, die Washington als wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) betrachtet. Die Türkei betrachtet die Gruppierung hingegen als Terrororganisation und syrischen Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Deshalb setzt die Führung in Ankara alles daran, die Ausbreitung des kurdischen Machtbereichs in Nordsyrien zu verhindern. Ministerpräsident Binali Yildirim spricht ganz offen aus, dass die türkische Intervention in der syrischen Grenzstadt Dscharablus den Vormarsch der PYD stoppen soll. Westlich des Euphrats habe die Kurdengruppe nichts zu suchen habe.
Der türkische Vorstoß könnte die Lage in Syrien weiter verschärfen
Der Doppelschlag Ankaras gegen den IS und die Kurden könnte die nach mehreren Terroranschlägen in jüngster Zeit ohnehin angespannte Lage in der Türkei weiter verschärfen. Beobachter rechnen nicht nur mit Vergeltungsanschlägen des IS in der Türkei. Auch militante Kurden könnten verstärkt zuschlagen. Die türkische Intervention treibt in Syrien einen Keil in einen etwa 90 Kilometer breiten Korridor zwischen zwei Herrschaftsgebieten der PYD.
Vor einigen Wochen hatten die Kurdenkämpfer die Erlaubnis erhalten, den Euphrat Richtung Westen zu überqueren, um bei der Vertreibung des IS aus der Stadt Manbidsch zu helfen. Die Kurden machten jedoch keinen Hehl aus ihrer Absicht, nach der gewonnenen Schlacht gegen den IS in der Region zu bleiben. Das wiederum will Ankara unbedingt verhindern. Die Türkei fürchtet ein großes, zusammenhängendes Kurdengebiet direkt an der eigenen Grenze. Auch deshalb überquerten türkische Panzer am Donnerstag die Grenze in Richtung Syrien – mit dem Segen der Amerikaner. Das US-Militär meldete, die Kurdenkämpfer hätten sich wieder über den Euphrat nach Osten zurückgezogen.
Beobachter erwarten, dass die Türken trotzdem auf längere Zeit in Syrien bleiben wird. Der Nachrichtensender CNN-Türk berichtet, Ankara wolle die Situation zum Anlass nehmen, um die seit langem geforderte „Schutzzone“ im Norden Syriens einzurichten – diese würde sich zwischen den beiden von der PYD kontrollierten Gebieten erstrecken. Präsident Erdogan, der am Mittwoch den amerikanischen Vize-Präsidenten Joe Biden empfing, hat nun einen Fuß in der Tür, um bei Verhandlungen über die Zukunft Syriens mitzuentscheiden. Damit macht die Türkei den ohnehin komplizierten Syrien-Konflikt noch unübersichtlicher.
Das Machtspiel um Syrien geht in eine neue Runde
Aus Sicht der USA könnt ein stärkeres Engagement der Türkei in Syrien Vorteile haben – solange es sich tatsächlich in erster Linie gegen den IS wendet. Wenn Ankara aber nun den Konflikt mit den syrischen Kurden sucht, wird es schwierig.
Russland und der Iran, die Schutzherren des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad, könnten eine türkische Dauerpräsenz als Angriff auf ihre eigenen Interessen in dem Bürgerkriegsland sehen. Einige Erdogan-Anhänger in der Türkei fordern bereits jetzt, die türkischen Truppen sollten gleich auch die schwer gebeutelte nordsyrische Metropole Aleppo und anschließend die Hauptstadt Damaskus einnehmen.
Gleichzeitig wird ein weiteres Problem zwischen den ausländischen Mächten deutlich, die in Syrien mitmischen: Sie wollen zwar alle den IS besiegt sehen, sind aber grundverschiedener Ansicht darüber, welche Gruppen jene syrischen Gebiete kontrollieren sollen, aus denen die Dschihadisten zurückgedrängt werden. Das Machtspiel um Syrien geht in eine neue Runde.
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