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Foto: Paul Zinken, dpa/Symbol
Foto: Paul Zinken, dpa/Symbol

Nicht jeder Notfall ist ein Notfall.

Reform geplant
10.05.2017

Wenn Notfälle gar keine Notfälle sind

Von Martin Ferber

Notaufnahmen sind oft überfüllt. Der Marburger Bund möchte das System reformieren, bisher ist man aber noch im Planungsstatus. Sorgen bereitet vor allem die Finanzierung.

Samstagabend in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Der enge, stickige Raum ist überfüllt, doch ständig kommen neue Patienten. Doch nicht jeder Notfall, der die Notaufnahme in Anspruch nimmt, ist tatsächlich ein Notfall. Fast jeder zweite Patient kann nach kurzer Behandlung wieder nach Hause geschickt werden. Von den 25 Millionen Menschen, die im vergangenen Jahr die Notaufnahme einer Klinik aufsuchten, konnte elf Millionen mit einer ambulanten Behandlung geholfen werden.

Das System bedarf der Reformierung

Der Marburger Bund, der Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, schlägt angesichts zum Teil unzumutbarer Zustände in den Notaufnahmen Alarm und fordert eine völlige Neustrukturierung der medizinischen Notfallversorgung in Deutschland. Viele Menschen wüssten gar nicht, dass es am Abend und an den Wochenenden einen eigenen Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigung gibt, der bundesweit über die Rufnummer 116.117 angefordert werden kann. Sie suchen stattdessen sofort die nächstgelegene Klinik auf. Deshalb plädiert der Ärzteverband dafür, das System aus ambulanter und stationärer Versorgung an den Kliniken zusammenzulegen, zentrale Anlaufstellen einzurichten und einheitliche Behandlungsstandards zu schaffen.

Die Patienten hätten sich bei akuten Schmerzen oder Verletzungen außerhalb der Öffnungszeiten der Arztpraxen mit den Füßen für das Krankenhaus entschieden, sagte der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke. „Wir fangen sie nicht mit dem Lasso ein, wir suchen sie nicht“, insofern sei der Vorschlag seines Verbandes, die Notdienste an den Kliniken anzusiedeln, „keine Kampfansage an die Kassenärztliche Bundesvereinigung“.

Einheitliche Standards müssen geschaffen werden

Geht es nach den Vorstellungen des Marburger Bundes, sollen in den durch Vertragsärzte betriebenen Notdienstpraxen an den Kliniken Patienten ohne Gebühr behandelt werden, wobei nach bundesweit einheitlichen Standards die Dringlichkeit der Behandlung festgelegt wird. Bei sehr schweren Erkrankungen kann der Patient sofort ins Krankenhaus eingewiesen werden, bei leichteren Fällen erfolgt die ambulante Weiterbehandlung durch den Kassenarzt. „Das erhöht die Akzeptanz der Patienten, verkürzt die Wartezeiten und verbessert die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Versorgungsebenen.“

Die Ärztin Susanne Johna, die als Mitglied des Bundesvorstands des Marburger Bundes das Konzept erarbeitete, plädierte in diesem Zusammenhang für eine enge Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung und die Möglichkeit eines Datenaustausches.

Auch sollten die Rufnummern 112 für dringende Notfälle und 116.117 für den Kassenärztlichen Notfalldienst zusammengelegt werden und bereits am Telefon eine erste medizinische Einschätzung erfolgen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen ihrerseits müssten sicherstellen, dass hilfesuchende Patienten auch außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten eine ambulante Versorgung erhalten, indem sich beispielsweise niedergelassene Ärzte im näheren Umfeld von Kliniken bereit erklären, Notfallpatienten in weniger dringenden Fällen zu behandeln. „Die Strukturen müssen dem Patientenverhalten folgen“, sagte Johna.

Geklärt werden müsste nach Ansicht des Marburger Bundes die Finanzierung der Notfallversorgung. Die Krankenhäuser, die in diesem Bereich nach eigenen Berechnungen pro Jahr ein Defizit von rund einer Milliarde Euro anhäufen, können seit 1. April eine Pauschale von 4,47 Euro pro Notfallpatient abrechnen, nachts das Doppelte. Doch dies ist nach den Worten Henkes viel zu wenig, da dabei eine Behandlungszeit von zwei Minuten zugrunde gelegt wurde. Um weder die Budgets der niedergelassenen Ärzte noch die Etats der Kliniken zusätzlich zu belasten, sollte ein gemeinsamer Topf eingerichtet werden, in den neben den Kassen auch der Bund, die Länder und die Kommunen einbezahlen.

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