Wie der Aberglaube zum Terrorhelfer wird
Zu den dunklen Seiten radikaler Islamisten gehört auch ihre Vorliebe für Dämonenglauben. Mit Esoterik und Teufelsaustreibung werden labile Jugendliche geködert. Der Fall Mustafa T.
Die Erlösung lässt sich in Plastikflaschen füllen, bereit für alle Anlässe. Wenn der böse Blick trifft, die Wohnung von Teufeln und Dämonen heimgesucht wird, ein Fluch auf der Familie lastet. Der Mann im Internetvideo zeigt, was dann zu tun ist: den Körper großzügig mit dem Wasser aus der Plastikflasche einreiben. Denn das Wasser ist „belesen“, mit Koransuren – Geistesheilung made in deutschen Islamistenkreisen. Ausgerechnet Fundamentalisten schwören auf Esoterik und alternative Medizin. Mitten in Deutschland betreiben sie ein radikales „Gesundheitswesen“, dessen Ausläufer bis in die Mitte der Gesellschaft reichen. Doch diese Spur führt in den Terror. Vom Allgäu über Nordrhein-Westfalen in die Türkei und bis in den Krieg: Wir zeichnen die Wege islamistischer Esoterik nach.
Dinslaken: Mustafa T. gehört zu einer Extremistengruppe
Der Mann im Video gilt Ermittlern als Schlüsselfigur – und mit ihm soll diese Geschichte auch beginnen. Er sieht unauffällig aus, wenn er darüber spricht, wie wohltuend Lavendel und Honig wirken können. In einem seiner Videos trägt er einen Ringelpullover, das Haar ist kurz geschnitten, der Bart gestutzt. Er ist 35, vermutlich verheiratet, und in seiner Heimatstadt Dinslaken im Ruhrgebiet saß er vor ein paar Jahren im Schulausschuss. Der Fußballklub listet ihn bis heute als Fan, auch an Universitäten hat er gesprochen – 2012 etwa an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Mustafa T. nennt sich „Seelsorger“, und wer mit ihm darüber reden will, bekommt über soziale Netzwerke schnell Auskunft, eloquent und verbindlich. Er habe nie auch nur einen Cent genommen, ihm gehe es ums Helfen, teilt er mit.
In deutschen Sicherheitskreisen klingen andere Töne. Denn obwohl Mustafa T. nie wegen entsprechender Verbindungen in den Terror verurteilt wurde und damit die Unschuldsvermutung gilt: Er soll zu einer Extremistengruppe gehört haben, deren Mitglieder später als Kämpfer des Islamischen Staats nach Syrien zogen. Auch aus unserer Region.
Dschihadisten: Viele Deutsche ziehen in den Krieg
David G. aus Kempten etwa, der im Januar 2014 nahe Aleppo als islamistischer „Gotteskrieger“ starb, gehörte dem Dunstkreis von Mustafa T. an und reiste über Dinslaken in den Krieg. So wie mehr als 20 weitere junge Männer, von denen etliche längst tot sind. Philip B. etwa sprengte sich im August im Irak in die Luft, Hasan D. und Mustafa K. starben vor ein paar Monaten wohl im Gefecht.
Prediger Mustafa gehörte zu ihrem Umfeld, war gleichzeitig jahrelang vernetzt mit der deutschen Dschihadisten-Generation. Doch er „behandelt“ ungehindert weiter, hielt Vorträge an Universitäten und ist offenbar sogar verbunden mit der etablierten „Gesellschaft für alternative Medizin“. Wie kann das sein?
Wer verstehen will, muss in Dinslaken beginnen, einer ehemaligen Zechenstadt. Die Internetseite beschreibt sie als beschaulich und ruhig, die Stadt ist kaum größer als Kempten. Doch die islamistischen Umtriebe wurzeln dort schon lange – mindestens seit 2006. Wie das nordrhein-westfälische Innenministerium bestätigte, trat dort in jenem Jahr der Salafistenprediger Pierre Vogel auf. Der frühere Boxer ist eine der schillernden Führungsfiguren der Szene – und die Moschee, in die er eingeladen wurde, gehört ausgerechnet zur als moderat geltenden Türkisch-Islamischen Union. Warum durfte Vogel sprechen? Wir haben über Wochen niemanden in der Moschee erreicht.
Region um Augsburg: Gewaltbereite Dschihadisten-Generation
Ob der selbst ernannte Prediger Mustafa T. mit Ex-Boxer und Islamisten-Lichtgestalt Vogel zusammentraf, darüber gibt es im Ruhrgebiet nur Mythen. Zumindest in späteren Internetkommentaren finden sich aber Verbindungen. Zumal der Dinslakener „Seelsorger“ in der Folgezeit Kontakte zur gewaltbereiten Dschihadisten-Generation gepflegt hat – womit diese Geschichte wiederum in unserer Region angekommen ist. In Neu-Ulm und Ulm haben sich jahrelang Terroristen und Terrorhelfer die Klinke in die Hand gegeben. Attila Selek etwa gehörte zur Sauerlandgruppe, die Anschläge auf US-Einrichtungen plante. „Seelsorger“ Mustafa T. und Atilla Selek sind alte Bekannte.
Und so dauert es nicht lange, bis auch in Dinslaken eine harte islamistische Struktur entsteht – spätestens 2008 und 2009. In der Zeit, in den ihn seine Heimatstadt Dinslaken in den Schulausschuss beruft, meldet Mustafa T. seine Internetseite an. Fortan werden dort Gleichgesinnte mit dem Koran geheilt. Gebete zum Herunterladen im MP3-Format, Videos, Gebrauchsanweisungen gegen Teufel, Geister und Dämonen: Auf der Internetseite gibt es Gesundheitstipps und Videos, das Logo ist in der grünen Farbe des Islams gehalten. Um was geht es? Angeblich nur ums Helfen, um Naturmedizin oder Homöopathie, heißt es auf Nachfrage. Man empfiehlt uns ein Buch: „Die Dschinn und menschliche Krankheiten“.
Was ist von all dem zu halten? Heilslehren mit islamistischem Hintergrund können sehr gefährlich werden, sagt Max Kaplan, Präsident der bayerischen Landesärztekammer und Allgemeinmediziner aus dem Unterallgäu. Für unsere Zeitung hat der Arzt einen Blick auf die Internetseite geworfen. Religiöse Esoterik, sagt Kaplan, kenne man zwar auch aus anderen Bereichen, etwa dem historischem Katholizismus. Kritisch jedoch werde es, wenn selbst ernannte „Heiler“ den Arzt ersetzen wollen, wenn die Behandlung im Verborgenen abläuft, es ums Geschäft geht oder um die zielgerichtete Beeinflussung. Exorzismus, das Austreiben von Geistern, sei sowieso indiskutabel.
Zuständig für die Überwachung solcher Heiler sind die Gesundheitsämter. Jedoch: Spielen die Behandlungen der Heiler und die tief sitzende Angst der Salafisten vor Dämonenwesen, Besessenheit und Verdammnis auch eine Rolle bei der Rekrutierung der Gotteskrieger?
Bayern: Spiritistische Praktiken sind Element der Radikalisierung
Für den bayerischen Verfassungsschutz steht fest: Spiritistische Praktiken sind ein Element im Gesamtpaket der Radikalisierung und Rekrutierung angehender Gotteskrieger. „Man versucht so, an gesundheitlich und psychisch angeschlagene Jugendliche heranzu- kommen und ihnen angebliche Hilfsangebote zu machen“, sagt Sprecher Markus Schäfert. Zwischen Heilern und vermeintlich Geheilten entstehe ein besonderes Vertrauensverhältnis, Abhängigkeit. Wer überzeugt sei, dass ihm ein Heiler aus der Krise geholfen habe, sei diesem gegenüber loyal. Der Heiler habe dann Einfluss, könne auf den „Patienten“ intensiv einwirken. Praktiken, die man aus Sekten kenne.
Zu den Lehren von Mustafa T. etwa haben hunderte Szenemitglieder Kontakt gehabt. Auch Islamisten aus Bayern, aus Kempten. David G. schloss sich 2013 der Zelle in Dinslaken an. Doch während er und seine Glaubensbrüder in den Syrien-Krieg reisten, gab Mustafa T. in Deutschland weiter Seminare.
Also zurück nach Dinslaken. SPD-Rat Eyüp Yildiz hat einige von denen gekannt, die später in den Syrien-Krieg gingen, er wohnt im selben Stadtteil: in Lohberg. Über ein Jahr ist es her, dass das Viertel wegen der islamistischen Umtriebe in die Schlagzeilen geriet. Eyüp Yildiz hat schon vorher darüber nachgedacht, warum es so weit gekommen ist. „Der Hasan zum Beispiel war ein intelligenter Kerl, Akademiker, auf der Suche nach Gerechtigkeit.
Wie kann der sich für so etwas hergeben?“ Mustafa K., der angeblich im selben Terrorcamp ausgebildet wurde wie David G. aus Kempten, sei zuvor zwar kriminell gewesen, trotzdem: Mord und Totschlag? Die Diskussion um die Syrien-Kämpfer sieht Yildiz zwiespältig: „Wir haben den Blick immer auf denen, die gingen. Aber was ist mit denen, die noch da sind?“ Den toten Gotteskrieger Mustafa K. würde Yiliz gerne etwas fragen: „Welche Wahrheit hast du gesucht? Wessen Wahrheit war das?“
Wir hätten darüber gerne mit Mustafa T. gesprochen. Doch während der Recherchen verschwanden einige seiner Accounts in sozialen Medien. Wo er steckt? Ruhrgebiet, Türkei, Ägypten: In Dinslaken kursieren nur Gerüchte.
Die Diskussion ist geschlossen.